Hoffnungshäuser – gelingende Gemeinschaft leben 

Hoffnungshäuser sind in den letzten Jahren vor allem in Süddeutschland entstanden. Sie beinhalten ein besonderes Wohnkonzept: Gemeinsam wohnen Deutsche oder Einheimische, die mit der deutschen Kultur vertraut sind, mit Migranten unter einem Dach. Das sieht nach praktisch gelebter Integration aus, Integration zum Anfassen. Unsere Frage ist: „Wie gelingt euch das?“

„Integration betrifft nicht nur die Migranten, die in ein Hoffnungshaus ziehen. Das macht auch was mit uns. Wir brechen auch auf, lassen uns auf etwas ein und sind gespannt, was das mit uns macht. Wir wissen es nicht, aber wir sind dafür offen.

Auf Augenhöhe

Wir gestalten unser gemeinsames Leben und Arbeiten auf Augenhöhe. Diese Haltung ist uns sehr wichtig.
Nicht: Ihr (die Migranten) lasst euch auf uns ein und passt euch uns an.
Wie oft ist unsere Haltung: Ihr kommt zu uns und schaut, wie es bei uns läuft. Denn wir wissen ja, wie es „richtig“ geht. Damit sprechen wir dem anderen eigentlich seine Kompetenzen ab.
Immer wieder stellen wir uns kritischen Fragen: Darf es anders laufen, als wir es immer gemacht haben? Können wir das uns Gewohnte loslassen? Dann kommt etwas „durcheinander“ für uns, aber ist das vielleicht ein heilsames „Durcheinander“? Diese Einsicht wollen wir leben.

Auch wir lassen Liebgewordenes und die vertraute Lebensweise los, suchen gemeinsam neue Wege, da gibt es dann keinen Unterschied zwischen Einheimischen und Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund. Zum Beispiel überlegen wir gemeinsam, wie wir den Garten gestalten, welche Hausregeln wir aufstellen oder wie der Umgang mit den Kindern aussehen soll. Es sind ja Kompetenzen da, und die tragen wir zusammen.
Trotz der Unterschiede wollen wir zusammen leben. Und sie machen uns nicht ärmer, ganz im Gegenteil. Sicher, es ist manchmal anstrengender, aber es lohnt sich.

Gelebter Alltag 

Wir fangen an, interkulturell zu denken. Dazu gehört viel Kommunikation: Was macht wirklich Sinn? Was lassen wir besser bleiben, weil die Vorgehensweise einfach zu kompliziert ist? Was führen wir ein, was schaffen wir ab? Wichtiger als unsere Regeln ist der Mensch und dass unser Miteinander stimmig ist.

Zum Beispiel hat Pünktlichkeit – die deutsche Tugend! – lange nicht den Stellenwert, wie es das einmal war. Wir lernen neu, was Zeit ist, Zeit zu haben, den Alltag miteinander zu teilen. So findet Integration statt, nicht nur durch Sprach- und Integrationskurse, sondern vor allem durch den gelebten Alltag.

Vieles wird inoffiziell geklärt, nicht bei terminlich festgelegten Treffen, sondern zwischen Tür und Angel oder bei einer Tasse Tee.

Wir feiern, was die Anlässe hergeben: Eine neue Arbeitsstelle, eine bestandene Prüfung, Geburtstage, kulturelle Feiertage wie das persische Neujahr … Nicht jede Familie für sich, sondern zusammen. Das gemeinsame Essen ist ein wichtiger Punkt, zu dem jeder etwas beiträgt. Gastgeber ist immer jemand anderes, je nach Anlass. Eben auf diese Weise lernen wir andere kennen – Menschen und Kulturen und was ihnen wichtig ist.

„In den letzten fünf Jahren, seit ich in Deutschland lebe, habe ich das Wort „Integration“ oft gehört. Die Medien sind voll davon. Hier im Hoffnungshaus erlebe ich, dass beide Seiten aufeinander zugehen. Ich möchte mich integrieren, aber ich brauche auch jemanden, der mir entgegenkommt. Das erlebe ich hier. Hier wird Integration wirklich gelebt. Zum ersten Mal fühle ich mich nicht mehr fremd in Deutschland. Ich gehöre dazu.“                                                                                                                    Khaled A. (Bewohner im Hoffnungshaus)

Wie machst du das? 

Eine deutsche Familie zog neu in ein Hoffnungshaus ein. In den ersten Wochen waren ihre Kinder nach der Schule ständig bei anderen Familien im Haus unterwegs. Das brachte die gewohnte Struktur von Mittagessen, anschließend Hausaufgabenzeit und dann erst Spielzeit durcheinander. Weise überlegte die Frau, wie sie das Problem angehen könnte. Nach einiger Zeit traf sie sich mit den Müttern mit Migrationshintergrund und fragt sie: „Wie macht ihr das eigentlich mit den Hausaufgaben?“ Es kam die Rückfrage, wie sie das denn mache. Jetzt – mit gewachsener Beziehung und auf Augenhöhe -erzählte sie, wie sie das bislang gehandhabt hatte. Einige Mütter ließen sich auf dieses „Konzept“ ein: Erst die Arbeit, dann das Spiel! Jetzt werden nach dem Mittagessen erst einmal die Hausaufgaben gemacht.

Füreinander und Miteinander

Wir begleiten Menschen. Es geht nicht um Ziele, sondern um Menschen. Durch das integrative Wohnkonzept teilen wir den Alltag, teilen wir unser Leben. Das beinhaltet viel Schönes, aber auch Schmerz und Trauer. Ich mache mich verletzlich, aber ich werde auch beschenkt. Dazu einige Beispiele:

Die Mutter eines Bewohners war gestorben. Zwei afghanische Männer besuchten ihn. Das verwunderte ihn ziemlich, bisher waren direkte Kontakt eher spärlich. Sie kamen, um Anteil zu nehmen. Diese Geste tröstete ihn ungemein.

Als Afghanistan 2021 von den Taliban eingenommen wurde, haben wir mitgelitten und getrauert. Da wurde im Garten gemeinsam geweint und gehofft.

Ein afghanischer Mann, Ehemann und Vater von mehreren Kindern, erzählt mir aus seinem Leben und von seiner Arbeit in Afghanistan. Es ist spannend, ihm zuzuhören. Ich lerne von ihm, wie er Krisen und Konflikte gemeistert hat. Ich realisiere, was für eine hohe Konfliktkompetenz er in seinem Leben entwickelt hat, entwickeln musste. Davon kann ich so viel lernen.

Ein Migrant ließ sich von einem Bewohner zu einer Fahrradtour überreden. Erst war es recht mühsam für ihn, er konnte das Tempo der anderen nicht halten, und bremste die ganze Truppe aus. Als er bei dem geliehenen Rad die Gangschaltung erklärt bekam, ging es schneller voran. Und sagte am Ende des Tages: „Danke, dass du an mich gedacht hast!“

Das Wohnkonzept

Wir begegnen allen Bewohnern und Bewohnerinnen des Hoffnungshauses mit Respekt, unabhängig von ihrer Religion, Kultur und Herkunft. Wir tragen unseren Teil zur aktiven Hausgemeinschaft bei und teilen gemeinsame Werte wie Nächstenliebe, Gastfreundschaft und ein positives Menschenbild. Wir unterstützen uns gegenseitig und üben regelmäßig respektvolle Gemeinschaft durch Begegnungen und Workshops. Unser Hoffnungshaus soll ein Ort des Friedens sein. (Ein Satz aus dem Konzept.)

Unser ist Ziel ist, dass Menschen nicht am Rande der Gesellschaft leben, sondern dass sie Teil unserer Gesellschaft werden. Wir wollen, dass Integration gelingt.

Dabei verfolgen wir fünf Bausteine:

  1. Integratives Wohnen: Die Hälfte der Bewohner ist Deutsch oder bereits lange mit der deutschen Kultur vertraut, die andere Hälfte sind geflohene Menschen. Das Lernen findet im Alltag statt. An neun Standorten sind bereits 29 Hoffnungshäuser entstanden. An jedem Standort befinden sich 2-4 Häuser mit 50 – 140 Menschen: Singles, Alleinerziehende, Paare, große und kleine Familien.
  2. Gesellschaft und Ehrenamt. Wir wollen in die Gesellschaft hineinwirken, ökumenisch in der kirchlichen Landschaft und den Kommunen unterwegs sein, am Leben der Stadt bzw. des Ortes teilnehmen und Anknüpfungspunkte suchen.
  3. Geistliches Leben. In den Hoffnungshäusern leben Christen, Muslime und Menschen anderer Weltanschauungen zusammen. In interreligiösen Begegnungen lernt man einander kennen und lernt voneinander. Aus christlicher Nächstenliebe ist man offen, für das was dem anderen wichtig ist: seine persönliche Überzeugung.
  4. Soziale Arbeit und Sprachbildung: Hausaufgabenbetreuung, Förderung der Kinder, Sprachkurse, interkulturelle Bildung, Verfahrensbegleitung. Für jeden Standort ist ein Sozialarbeiter angestellt.
  5. Ausbildung und Arbeit. Integration des Einzelnen in den Arbeitsmarkt. Denn Arbeit schafft Identität, eigenverantwortliches Leben und Unabhängigkeit.
Warum es sich lohnt

Niemand lebt für sich allein – jeder von uns braucht Menschen um sich herum. Das Leben miteinander zu teilen ist ein Reichtum. Veranstaltungen reichen dazu nicht aus. Wenn so zum Beispiel in Gemeinden der Schwerpunkt auf dem Gottesdienst liegt, werden wir Menschen mit Migrationshintergrund nicht in die Gemeinden integrieren können. Es braucht den Fokus auf der Beziehungsebene. Und sie ist dringend nötig in der christlichen Landschaft! Ich wünsche jedem Deutschen einen Geflüchteten als Freund! Freunden öffne ich mein Leben, wir teilen miteinander, was uns bewegt – und bereichern uns gegenseitig, weil der andere anders ist.

Für uns ist es der Glaube an Jesus, der uns den Mut und die Kraft schenkt, uns auf diese Art von Leben einzulassen. Unser Glaube ist die Ressource, er hält und trägt uns. Das gilt es zu entdecken.

Vielen Dank für das Gespräch!