„Islamisierung“ – Ursachen der Angst

Ein Versuch zu verstehen. – Wir leben in einem kleinen Hochhaus mit zwölf Wohnungen. In acht davon wohnen muslimische Familien. Haben wir in dieser „Minderheitssituation“ Angst vor dem Islam? Ganz gewiss nicht. Es gibt herzliche Beziehungen, gute Nachbarschaft, manchmal auch Phasen der Distanz; nicht mit jedem versteht man sich zu allen Zeiten gleich gut … Unserem Eindruck nach ist es nicht oder selten das Zusammenleben mit Muslimen in naher Nachbarschaft, das Ängste auslöst. Woher kommen sie dann?

Kommentar einer marokkanischen

Bekannten nach dem Anschlag in Paris:

“Die verderben unseren ganzen Ruf!” 

Schockierende Nachrichten

Alle paar Wochen ereignet sich irgendetwas Schreckliches in der Welt des Islam. Dabei denken die meisten Menschen in Europa nicht darüber nach, ob das wirklich mit dem Islam zu tun hat – und schon gar nicht, ob das denn dem „wahren Islam“ entspricht. Der IS nennt sich nun einmal „Islamischer Staat“ und wird mit dem Islam in Verbindung gebracht. Viele sind einfach geschockt von dem, was diese Organisation über ihre „Heldentaten“ verbreitet. Wer von so viel Grausamkeit erschüttert und zutiefst verunsichert ist, dem fehlen die Kraft und das Interesse, darüber nachzudenken und sich Erklärungen anzuhören, wie viel oder wenig das nun mit dem Islam zu tun hat. Der braucht eher Trost und emotionale Hilfe, solche Berichte und Bilder zu verarbeiten.

Und dann der Schock über das, was sich in der Silvesternacht zwischen Dom und Hauptbahnhof in Köln (und an anderen Orten) abspielte: wieder ist für viele, die davon gehört und gesehen haben, nicht die Frage relevant, ob solches Verhalten mit dem Islam vereinbar sei etc. Es waren, wie es scheint, zum größten Teil Muslime, die so gewissenlos und abscheulich gehandelt haben. Aber die meisten Muslime distanzieren sich davon. Und doch prägt es mit das Bild „vom Islam“ – wie auch das Fehlverhalten einiger Christen ein schlechtes Licht auf das ganze „Christentum“ wirft.

 

Eine schleichende Gefahr?

Die Zahl der Muslime in Europa wächst seit Jahren stetig. Ebenso die Zahl der Moscheen in Deutschland, der türkischen Geschäfte in unserer Nachbarschaft… Aber ob das überhaupt wahrgenommen würde? Auch die Tatsache, dass der Einfluss von Muslimen in unserer Gesellschaft wächst? Ob das möglicherweise gar nicht als so bedrohlich wahrgenommen würde, wenn nicht die schockierenden Nachrichten immer neu Ängste auslösen würden: dass immer mehr von den vielen Muslimen, mit denen wir friedlich zusammenleben, sich „radikalisieren“ könnten, dass sie vielleicht immer mehr Forderungen zur Not auch mit Gewalt durchsetzen könnten, dass sie uns mit der Zeit einen Lebensstil aufzwingen könnten, den wir absolut nicht wollen…

 

Beschwichtigungen

Vielen Stellungnahmen von muslimischer Seite spürt man ab, dass sie vor allem „den Islam“ verteidigen, „reinwaschen“ möchten. Solche Beschwichtigungen beruhigen niemanden. Zumal wenn die problematischen Seiten von Koran, Entstehung und Ausbreitung des Islam etc. verschwiegen werden – wo doch jeder in einigermaßen zuverlässigen und zugänglichen Übersetzungen muslimischer Texte selber nachlesen kann, was z. B. der Koran zur Anwendung von Gewalt sagt. Verschweigen, Herunterspielen u. ä. fördern eher schon vorhandenes Misstrauen und verstärken Ängste.

Dass viele westliche Medien und auch viele Politiker und Kirchenvertreter hauptsächlich „politisch korrekt“ über den Islam sprechen, wirkt sich ähnlich aus. Schönfärberei – der die Realität regelmäßig widerspricht – führt zu einem Gefühl von Desinformiertsein und Orientierungslosigkeit. Immer wieder beobachte ich, mit wie viel Ahnungslosigkeit sich Menschen, die die öffentliche Meinung prägen, über den Islam (und Religion überhaupt) äußern. (Viele von ihnen mögen von dem irrigen Standpunkt ausgehen, dass Religion unwichtig sei und man deshalb auch nicht viel darüber wissen müsse.) – Das Gemisch aus Beschwichtigung, Verharmlosung und Unwissenheit in vielen öffentlichen Äußerungen steigert jedenfalls die Verunsicherung vieler Mitbürger.

 

                                                                                                                                     Sicherheit und Wohlstand

Wenn man selbst nicht durchblickt und Angst hat, wünscht man sich Leute (ob die nun den Durchblick haben oder nicht!), die eingreifen und für Ruhe und Sicherheit sorgen. Es geht uns eigentlich gut in Europa – oder es könnte uns gut gehen: seit dem Ende des 2. Weltkriegs keine gravierenden Hungersnöte, wachsender Wohlstand, gute medizinische Versorgung, relativ viel Freizeit und viele Angebote, diese nach Lust und Interesse zu nutzen. Nicht zuletzt ein großes Maß an Rechtssicherheit und Freiheit. All das möchte man sich natürlich von niemandem nehmen lassen. In vielen islamischen Ländern sieht es offensichtlich ganz anders aus. Eine solche Kultur, wie wir sie in den meisten islamischen Ländern sehen, möchten wir nicht übergestülpt bekommen.

Für unsere Gesellschaft sind hauptsächlich innerweltliche Werte von Bedeutung: ein möglichst großer Wohlstand, Freiheit (die z. T. an Verantwortungslosigkeit grenzt) und die Sicherheit, dass dieser Zustand so bleibt. Ob diese Werte auf Dauer eine tragfähige Basis für unsere Gesellschaft darstellen und ob die Menschen in Europa fähig sind, sich für sie einzusetzen und sie erfolgreich zu verteidigen, erscheint mir fraglich.

 

Jeder für sich

Nun herrscht bei uns ziemlich viel Uneinigkeit im Umgang mit dem Islam – und nicht nur auf diesem Gebiet. Die „Politik“ scheint wesentliche Wünsche (und Ängste) des Volkes zu wenig wahrzunehmen. Es kommt zu Straßenprotesten etc. Diejenigen, die solche „übersehenen Interessen“ aufgreifen, scheinen dabei vielfach wiederum nur ihre eigenen politischen Interessen zu verfolgen. Viele Interessengruppen stehen gegeneinander; immer weniger scheint die Frage zu sein, wie wir alle miteinander unser Leben möglichst gut gestalten können, sondern eher, wie eine Gruppierung sich gegen die anderen durchsetzen kann. Dabei nehmen gegenseitige Verachtung, verbale Attacken und gewaltsame Aktionen immer mehr zu.

Wenn eine gemeinsame Mitte fehlt und gemeinsame Werte, Interessen und Überzeugungen immer mehr wegschmelzen, wird auch gemeinsames Handeln immer schwieriger. Wo „jeder für sich kämpft“, steht man sich gegenseitig im Weg.

 

Angst vor „Islamisierung“?

Mir scheint, dass sich hinter der Angst vor „Islamisierung“ ein ganzes Knäuel von Ängsten verbirgt:

  1. sicherlich auch Ängste, die durch islamistischen Terror ausgelöst werden,
  2. Ängste vor den unabsehbaren Auswirkungen eines zunehmenden islamischen Einflusses – die durch unsachgemäße Informationen über den Islam und durch unklare politische Stellungnahmen noch verstärkt werden,
  3. aber auch Ängste, dass durch „den Islam“, „die Flüchtlinge“ oder durch wen oder was auch immer unsere Freiheit und Sicherheit und unser Wohlstand – unser säkulares „Fast-Paradies“bedroht werden könnte,
  4. und das angstvolle Empfinden, dass wir immer mehr in destruktive Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen hineingeraten, statt gemeinsam anstehende Probleme lösen zu können,
  5. schließlich die Angst, dass wir also mehr und mehr zum Spielball unkontrollierbarer Kräfte werden, als dass ein gemeinsamer politischer Wille und eine gemeinsame Vorstellung vorhanden wären, wie wir unsere Zukunft gestalten wollen.

Die Angst sitzt tief. Sie füllt das Vakuum, das entsteht, wenn das Vertrauen auf Gott und der Friede mit Gott fehlen. Wenn durch Umkehr und Versöhnung mit Gott die „Ur-Angst“ überwunden wird, können auch die anderen Ängste und Probleme im Vertrauen auf Gottes Hilfe wirklich angegangen werden.

 

aus: Orientierung 2016-01