Jesus-Methoden“ in der Jüngerschaft

Kann man in einem Klassenzimmer Schwimmen lernen? Der Lehrer steht vorn an der Tafel und erklärt alles genauestens. Die Schüler sitzen auf Stühlen und hören aufmerksam zu, um alle wichtigen Hinweise zur richtigen Schwimmbewegung zu verinnerlichen. Wäre das möglich? Nun, ich will nicht behaupten, dass es absolut unmöglich ist, allerdings wäre es für die meisten Menschen sehr schwierig, so schwimmen zu lernen.

Eine ähnliche Frage wäre: Kann man in den Räumlichkeiten der Fahrschule Autofahren lernen? Es ist unbestreitbar, dass man zum Autofahren in Deutschland auch ein gutes Maß an Theorie braucht, die in den Räumlichkeiten der Fahrschule vermittelt wird. Doch wären wir alle nicht glücklich, wenn Fahrschüler ohne Praxisstunden schon fahren dürften. Wir finden es völlig einleuchtend, dass sowohl Informationen als auch Übungsfahrstunden notwendig sind, um auf deutschen Straßen zurechtzukommen.

Gewöhnung an eine theorieorientierte Jüngerschaft

Leider sieht unsere Anleitung zur Nachfolge Jesu oft nicht so aus, dass die Praxisstunden dazugehören. Wir beschränken uns auf die lehrmäßige Unterweisung im Seminar- oder Gottesdienstraum und hoffen, dass die Nachfolge des Neubekehrten so irgendwie klappt. Der Gottesdienst am Sonntag muss alles leisten. So wird nicht in allen Gemeinden gedacht, doch leider sehr häufig.

Dabei hat Jesus seinen Jüngern und damit auch uns etwas anderes vorgelebt und uns zur Nachahmung aufgerufen. Die lehrmäßige Unterweisung war für Jesus eine sehr wichtige und häufig eingesetzte Methode in der Jüngerschaft, allerdings nicht die einzige. Um als Ergebnis Nachfolger zu sehen statt nur Zuhörer, braucht es noch weitere Methoden der Jüngerschaft. Ich mag den Ausdruck „Jesus-Methoden der Jüngerschaft“.

Das Original: „Jesus-Methoden der Jüngerschaft“

Jesus wusste um die Kraft des Vorbilds. Deshalb hat er die Jünger zunächst ausgewählt, damit sie bei ihm sind und ihn beobachten können. Er war ständig für seine Jünger verfügbar, wenn sie Fragen hatten und hat mit ihnen das Geschehene häufig reflektiert. Er hat sie konkret angeleitet, Dinge vorgemacht und ihnen zunächst überschaubare Aufträge gegeben. Jesus hat die Jünger oft ermutigt und auch korrigiert, sie dabei miterleben lassen, was er empfindet und sie sogar in seine Pläne eingeweiht. Er hat die Jünger als Gruppe behandelt, ist aber auch einzeln auf sie eingegangen.

Am Ende eines dreijährigen Prozesses übergab Jesus seinen Jüngern die volle Verantwortung und einen globalen Auftrag. Er sprach ihnen Mut zu und war bereit, sie zu verlassen. Das ist ein riesiger Erfolg nach nur 3 Jahren der Ausbildung. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass Jesus der Sohn Gottes ist, dass jedes Wort, was er sagte, Gewicht hatte und dass er mit einer Vollmacht agierte, die einzigartig bei ihm zu finden ist. Doch sollten wir gleichzeitig beachten, welche Methoden er in diesem Prozess der Jüngerschaft eingesetzt hat, die zu so einem erfolgreichen Ergebnis geführt haben. Wir tun gut daran, auch in der Jüngerschaft von Jesu Methoden zu lernen. Paulus schrieb an die Korinther: „Folgt meinem Beispiel, so wie ich dem Beispiel folge, das Christus uns gegeben hat“. (1.Kor.11,1)

Einige Merkmale praxisorientierter Jüngerschaft

Wie können wir im Jahr 2022, in Deutschland lebend, Jesu Methoden der Jüngerschaft umsetzen? Nur in ganz seltenen Fällen ist uns eine dreijährige Ausbildung mit einer „rund-um-die-Uhr-Begleitung“ möglich, doch es gibt Merkmale seiner Jüngerschaft, die wir auch heute im Gemeindeleben umsetzen können. Hier einige Merkmale, die ich wesentlich finde:

  1. Die Kraft des Vorbilds wirkt immer noch!
    Wenn mir jemand etwas vormacht, kann ich es nachmachen.
  2. Die Lehre im praktischen Leben fürs praktische Leben ist relevant!
    Eine gesunde Theologie ist nicht abgehoben vom Alltag.
  3. Eine enge Begleitung beim Lernen am Anfang zahlt sich aus!
    Nur die wenigsten Menschen können ihre Lebensgewohnheiten selbstständig verändern, ohne Hilfestellung am Anfang.
  4. Das Feedback des Meisters gibt Sicherheit!
    Jeder Mensch braucht Ermutigung und Korrektur, einfach die Rückmeldung, ob die Richtung stimmt, in der ich unterwegs bin.
  5. Ohne eine von Herz-zu-Herz Beziehung zwischen Jünger und Jüngermacher ist jedes Lernen schwerfällig!
    Jemand, der mich liebt, darf mir etwas sagen. Ich brauche eine gewisse Offenheit von ihm, um seinen Herzschlag für mich zu spüren.

Es lohnt sich, die Evangelien zu durchforsten und zu beobachten, wie Jesus in verschiedenen Situationen reagiert hat. Sein Vorbild ist uns in geschriebener Form erhalten. Wir können immer noch mit der Bibel in der Hand zu Jesu Füßen sitzen und von ihm abschauen, wie er es gemacht hat.
Inspirierend finde ich hierbei auch die neue Filmserie The Chosen. Es wird wunderbar gezeigt, wie Jesus seine Jünger erwählt und wie er sie zielorientiert prägt. Es wird deutlich, dass Jesus mit allen Schritten einen durchdachten Plan vor Augen hat.

Einblick in meine Beziehung zu Mehmet

Wie können diese Beobachtungen ganz praktisch in unseren deutschen Gemeinden umgesetzt werden, wo Migranten aus verschiedenen Kulturen am Anfang ihres Glaubens stehen und zu uns in die Gottesdienste kommen? Ich will hier kurz beschreiben, wie ich versuche, einige Merkmale des Vorbilds Jesu in meiner Beziehung zu Mehmet umzusetzen:
In unserer kleinen Gemeinde haben wir einige Iraner und Kurden, die am Anfang ihres Glaubenslebens stehen. Fast alle stehen schon im Arbeitsleben und sind voll beschäftigt. Durch die Arbeitszeiten meines iranischen Freundes bleiben uns kaum mehr andere Möglichkeiten zum Treffen als abends nach seiner Arbeit. Mehmet und ich haben festgestellt, dass wir beide Sport als Ausgleich brauchen. Also treffen wir uns zum Joggen, danach tauschen wir uns über das Leben aus und beten füreinander.

Dieser Austausch kann manchmal länger dauern als das Joggen selbst. Wenn ich aus meinem Leben erzähle, versuche ich authentisch zu sein. Ich lasse es ihn wissen, wenn mir etwas schwer fällt, wenn ich mit etwas kämpfe und auch mal zerknirscht über mich selbst bin. Dabei muss ich nicht ins Detail gehen, doch es hat bewirkt, dass Mehmet auch offen über seine Probleme redet und wir wirklich mit diesen Problemen zu Gott gehen. Ich genieße es, wenn wir dann füreinander beten und ich ihn mit seinem wunderschönen Akzent höre, wie er für meine Probleme betet. Ich sage ihm das auch, dass ich dankbar für sein Gebet bin.

Diese Offenheit, die wir beide zueinander haben, macht auch möglich, dass ich offen und klar in sein Leben hineinsprechen darf, wenn ich sehe, dass es Korrektur braucht. Gleichzeitig hebe ich alle Lernerfolge hervor und ermutige ihn, wo ich kann. Alle Gebetserhörungen werden gefeiert, wie verrückt.

Eine weitere großartige Möglichkeit für praktische Jüngerschaft sind gemeinsame Arbeitseinsätze. Wir verbringen einige Stunden miteinander und helfen verschiedenen Menschen innerhalb und außerhalb der Gemeinde. Mehmet kann beobachten, wie ich mit Menschen umgehe, wie ich Probleme löse und wie ich Gott in alles einbeziehe. Beim Arbeiten ergeben sich oft auch ganz entspannte Gespräche über verschiedene Themen.
Es ermutigt mich enorm, die Fortschritte im Glauben von Mehmet zu sehen. Ich freue mich schon darauf, wenn Mehmet selbst beginnt, mit einem anderen iranischen Bruder zu joggen und mit ihm für die verschiedenen Herausforderungen des Lebens zu beten…