Minikurs: Abraham (Ibrahim) im Koran, im Leben Mohammeds und in jüdischen außerbiblischen Schriften

Im Koran finden sich einige Texte über Abraham (Ibrahim), die auch in außerbiblischen jüdischen Schriften vorkommen. Hier lesen wir interessante Geschichten der damaligen Zeit, die auch bei Juden und Christen zu Lebzeiten Mohammeds bekannt waren.

Zu anderen koranischen Erzählungen lassen sich keine Parallelen in außerbiblischen jüdischen Schriften finden. Nach der Ansicht vieler christlicher Islamwissenschaftler lässt sich die Einfügung von Texten über Abraham mit der Biografie Mohammeds erklären. Wir haben einige dieser Geschichten aufgezählt (mit und ohne zeitgenössische Parallelen), die wir mit ein paar Theorien zur Motivation Mohammeds abschließen möchten.

 

1. Abrahams Glaube

Der Koran spricht davon, dass Abraham zuerst die Sterne anbetete. Als die Sterne verschwanden, wählte er den Mond. Als der Mond verschwand, wählte er die Sonne; und als auch diese verschwand, wählte er den Schöpfer des Himmels und der Erde (Sure 6,79). Diese spirituelle Suche von Abraham finden wir ähnlich in Schriften außerhalb der Bibel. In der Apokalypse Abrahams, in den jüdischen Altertümern und in dem Buch der Jubiläen, alle geschrieben um das erste bis zweite Jahrhundert, also einige Jahrhunderte vor der Niederschrift des Korans.
Im Koran wird Abraham ein Hanif genannt, ein Gottgläubiger (Sure 6,79; 3,67; 4,125; 16,120 und 123), so wie Mohammed sich selbst auch als Hanif verstanden hat, bevor ihm der Engel Gabriel in der Höhle begegnet ist. Laut Koran hat Abraham die Kaaba gegründet (Sure 2,127-129 und 22,26-29; 3,96); und er wird als Muslim bezeichnet (Sure 2,131), als jemand, der sich Gott ergeben hat.

 

2. Streit mit dem Vater

Im Koran bittet Abraham um Vergebung für die Sünden seines Vaters (Sure 18,47; 26,86-87; 60,4), weil er es seinem Vater versprochen hatte (Sure 9,113). Öfters wird im Koran beschrieben, wie Abraham mit seinem Vater gestritten hat und ihn überzeugen wollte, die Götzen aufzugeben (Sure 6,74; 19,42;48; 21,52-57; 43,26-27). Das finden wir ähnlich in dem Buch der Jubiläen (12,1-8) oder in der Apokalypse des Abraham (in Kapitel 3.4.6). Dann spricht der Koran darüber, dass er die Götzen seines Vaters zerschlägt (Sure 21,58). Das finden wir auch in der Apokalypse Abrahams aus dem ersten Jahrhundert (1,1-2,9) oder in Genesis Rabba (jüdischer Genesiskommentar 38,19) und in anderen Schriften, die einige Jahrhunderte vor dem Koran niedergeschrieben wurden. Abraham streitet auch mit einem König und fordert ihn auf, die Sonne von Osten nach Westen aufgehen zu lassen. Das steht sowohl im Koran (Sure 2,258) als auch in der Midrasch und anderen jüdischen Schriften (Tanna de be Elijahu). Laut Koran wurde Abraham einmal in den Feuerofen geworfen (Sure 21,68-70 und 37,97-98). Die Geschichte findet sich auch im babylonischen Talmud, in Genesis Rabba 44,18 und in Leviticus Rabba 46,4, alle um das Jahr 500 geschrieben, also vor der Niederschrift des Korans.

 

3. Streit mit den Leuten seiner Zeit

Abrahams Streit mit den Leuten seiner Zeit (Sure 6,80-81; 9,70; 22,42-44; 26,69-93; 29,16-19.24-25; Sure 37,84-96) ist oft im Koran zu finden, aber weder in der Bibel noch in anderen jüdischen oder christlichen Schriften. Abraham streitet mit seinen Leuten sehr ähnlich wie Mohammed mit seinen Leuten gestritten hat. So sagt Abraham in Sure 6,80 „Wollt ihr mit mir über Allah streiten?“ und Mohammed sagt ganz ähnlich in Sure 2,138 „Wollt ihr mit uns über Allah streiten?“ Abraham sagt in Sure 6,80: „Er (Allah) hat mich doch rechtgeleitet.“ Mohammed sagt zu seinen Leuten in Sure 6,161: „Mein Herr hat mich auf einen geraden Weg geführt zu einem richtigen Glauben.“ Abraham sagt in Sure 60,4: „Wir sind unschuldig an euch und an dem, was ihr an Gottes Statt verehrt.” Ähnlich antwortet Mohammed in Sure 6,19: „Ich bin unschuldig an dem, was ihr beigesellt.“

 

Rückschlüsse auf die Motivation Mohammeds

Aus den drei kurzen Abschnitten lassen sich Rückschlüsse zur Umgebung Mohammeds ableiten. Die ehemaligen Juden, Christen und Polytheisten waren höchstwahrscheinlich nicht alle völlig überzeugt von Mohammed und seinen Lehren. Sicherlich hatte ein streng monotheistisch geprägter Jude, der den Islam angenommen hatte, Bedenken, die (ursprünglich heidnischen) Rituale um die Kaaba zu vollziehen. Wie konnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren? (Vgl. das 1. und 2. Gebot der zehn Gebote). Vielleicht hat Mohammed mit diesen Aussagen zur Kaaba (siehe Punkt 1) seinen verunsicherten neuen Anhängern zusichern wollen, dass die Umkreisung und das Küssen eines Steines durchaus in der monotheistischen (abrahamitischen) Tradition des Juden- und Christentums steht.
Auch der Konflikt Abrahams mit seiner Umgebung (ähnlich wie Mohammed) ist in diesem Sinne erklärbar. Hier hat Mohammed wahrscheinlich seine Konflikt- Erfahrungen mit den Nichtmuslimen in Mekka und Medina im Koran durch den Propheten Ibrahim “wiederholen” lassen. Hierdurch konnte seine Umgebung anerkennen, dass Mohammed in seinen Aussagen ein legitimer Prophet ist, so wie Abraham. Wenn sie Mohammed widerstehen, widerstehen sie im Grunde auch Abraham. Derselbe Wille zur Legitimation der Lehre Mohammeds ist in Sure 14,40 zu erkennen. Hier betet Abraham dafür, dass er und seine Nachkommen (gemeint sind auch die Muslime) das Gebet verrichten (Sure 14,40), so wie es auch Mohammed tat. In der Torah lesen wir davon nichts.

 

Basierend auf diesen Zusammenhängen kommen wir zu verschiedenen Schlussfolgerungen:

Es gab wahrscheinlich verschiedene theologische Spannungen unter den ersten Muslimen und regelmäßige Diskussionen mit der nichtmuslimischen Umgebung. Mohammed fragte sich: „Wie kann ich es schaffen, eine so heterogene Gruppe von Gläubigen zusammen zu halten und sie langfristig von meiner Prophetenschaft zu überzeugen?“ Vermutlich hat er daher in seinen Predigten und Koranoffenbarungen gerne auf Abraham zurückgegriffen. An Abraham konnte er gut anknüpfen, denn sowohl die Christen als auch die Juden bezogen sich in ihrem Glauben auf ihn. Dabei sah er kein Problem darin, jüdische außerbiblische Texte in seine Koranoffenbarungen mit zu übernehmen. In vielen Fällen sind diese Texte jedoch erst wenige Jahrhunderte vorher verfasst worden, ganz anders als die biblischen Texte über Abraham. Da die Historizität dieser jüdischen Geschichten damals jedoch nicht ermittelt werden konnte, hatten besonders die jüdischen Zuhörer Mohammeds an seinen Predigten in dieser Hinsicht nicht viel auszusetzen. Ein aktueller Vergleich jedoch kann den aufmerksamen Leser des Korans zum Hinterfragen bringen.

Dieser Artikel erschien in Orientierung: M #spezial, Ausgabe 20-2