Während Jesus im Koran zwar als großer Prophet beschrieben wird, verurteilt der Koran den christlichen Glauben an seine Gottessohnschaft und seinen stellvertretenden Tod am Kreuz scharf. Obwohl Jesus in Sure 3,45 als Messias bezeichnet wird, bleibt dieser Titel ohne jede Einordnung in die alttestamentliche Erwartung eines gesalbten Retters. In derselben Stelle wird Jesus als ein „Wort von Gott“ beschrieben, ohne dass damit das ewige Fleisch gewordene Wort Gottes aus dem Prolog des Johannes-Evangeliums gemeint ist. Wenn es im Koran heißt, dass Jesus „ein Geist von Gott“ ist, wird damit nicht seine göttliche Identität bestätigt, sondern lediglich seine übernatürliche Zeugung beschrieben. Aber dennoch enthalten die koranischen Beschreibungen des Lebens und Wirkens Jesu zahlreiche Besonderheiten, die Jesus unter allen anderen Propheten herausragen lassen und nicht wenige Muslime zum weiteren Nachdenken über ihn anregen.

Ein Gesandter der Zeichen und Wunder

In Sure 3,45-49 verkündigen Engel der Jungfrau Maria, dass Gott Jesus die Schrift, die Weisheit, die Thora und das Evangelium lehren wird und ihn als Gesandten zu den Kindern Israels schicken wird. Jesus wird durch ein Wort Gottes gezeugt. Die übernatürliche Geburt von Jesus soll nach Aussage der Engel ein Wunderzeichen und eine Barmherzigkeit für die Menschen sein. Muslime staunen zudem darüber, wie Jesus selbst bereits als Säugling in der Wiege seine Mutter gegen die aufkommenden Vorwürfe der Unzucht verteidigt (siehe Sure 19,24ff.). Weiter bezeugt der Koran, dass Jesus auch später gestärkt vom Heiligen Geist viele Wunder getan hat. Der Koran berichtet in offensichtlicher Anknüpfung an apokryphische Schriften, wie Jesus einen Vogel aus Ton formt und zum Fliegen bringt (Sure 3,49). Außerdem heilt er Blinde und Aussätzige (Sure 3,49), versorgt seine Zeichen fordernden Jünger auf wunderbare Weise mit Essen aus dem Himmel (Sure 5,112-115) und erweckt Tote zu neuem Leben (Sure 3,49). Jesus soll nach koranischem Zeugnis mithilfe seiner Wunderzeichen das bestätigen, was schon aus der Thora bekannt ist und einen Teil von dem erlauben, was zuvor verboten war. In Sure 3,46 beschreibt Jesus die Botschaft hinter den Wunderzeichen: „Ich komme zu euch mit einem Zeichen von eurem Herrn; fürchtet Gott und horchet auf mich. Wahrlich, Gott ist mein Herr und euer Herr, so verehret ihn. Dies ist der rechte Weg.“ Als Mohammed jedoch behauptete, dieselbe Botschaft wie Jesus und die anderen Propheten vor ihm zu bringen, verlangten sowohl die heidnischen Araber als auch die Juden und Christen im Umfeld Mohammeds die entsprechende Bestätigung seiner Sendung durch Zeichen und Wunder. Mohammed wies diese Forderungen als Unglauben ab und verwies, wie die islamische Theologie nach ihm, auf die Einzigartigkeit des Koran als größtes Wunder. Der Koran berichtet von keinerlei Wundern, Heilungen oder Dämonenaustreibungen Mohammeds, während sich in den islamischen Überlieferungen einige Wunderberichte finden, deren Glaubwürdigkeit selbst unter Muslimen umstritten ist.

Ein Mann der Güte und Barmherzigkeit

Muslimische Gelehrte haben immer wieder mit Verweis auf Sure 61,6 versucht darzulegen, dass Jesus in Johannes 14 nicht den Heiligen Geist, sondern das Kommen Mohammeds angekündigt habe. Neben den exegetischen Schwierigkeiten bei einer solchen Auslegung spricht gerade die völlig unterschiedliche Vorstellung von der Durchsetzung der Herrschaft Gottes gegen eine Kontinuität zwischen Jesus und Mohammed. Ausführlich beschreiben Koran und Überlieferung die Kriege Mohammeds zur Durchsetzung des islamischen Machtanspruchs und sein gewalttätiges Vorgehen gegen seine persönlichen Feinde und Widersacher. Auch wenn der Koran Jesu Gebot der Feindesliebe nicht überliefert, findet sich hier kein einziges Wort zu einer Ausübung oder Androhung von Zwang gegenüber seinen Nachfolgern oder einer gewalttätigen Einstellung gegenüber seinen Widersachern. Nach Sure 5,46 war in seiner Botschaft vielmehr Führung und Licht und eine Ermahnung für die Gottesfürchtigen. Nach Sure 19,34 ist er das „Wort der Wahrheit“. In Sure 57,27 heißt es, dass Güte bzw. Mitleid und Barmherzigkeit in die Herzen derer gelegt wurden, die Jesus folgten.

Ein sündloser und gewaltloser Prophet

Während Mohammed als Gesandter Allahs nicht nur bei der Zahl seiner Ehefrauen Sonderrechte für sich in Anspruch nahm, wird dies von Jesus nicht berichtet. Erstaunlicherweise beschreibt der Koran zudem anders als die islamische Theologie später, dass Mohammed um Vergebung seiner Sünden beten musste (siehe Sure 40,55; 47,19; 48,2), während Jesus weder im Koran noch in der islamischen Überlieferung einer einzigen Sünde bezichtigt wird und nach Sure 3,45 im Diesseits und im Jenseits angesehen ist. In der islamischen Mystik erscheint er als großer Weisheitslehrer und Vorbild für Armut und Askese. Vor allem der bereits im Koran durchschimmernde Kontrast zwischen Mohammed und Jesus in ihrer Einstellung zu den Feinden stimmt viele Muslime nachdenklich und weckt nicht selten das Interesse für die Evangelienberichte. Biblische Berichte wie die Begebenheit, als Jesus bei seiner Gefangennahme das Ohr eines Knechtes des Hohenpriesters heilte und Petrus für den Einsatz von Gewalt gegen seine Widersacher tadelte, haben schon viele Muslime wie den ägyptischen Konvertiten und ehemaligen al-Azhar-Gelehrten Mark Gabriel von der Einzigartigkeit von Jesus, seiner Botschaft und der Art seiner Verkündigung überzeugt.

Das Wort vom Kreuz

Diese stellenweise im Koran nahegelegte Einzigartigkeit Jesu steht jedoch der wiederholten Klarstellung gegenüber, dass Jesus nicht der Sohn Gottes, sondern ein gewöhnlicher Mensch wie alle anderen Propheten gewesen und auch nicht am Kreuz stellvertretend für die Sünde der Menschen gestorben sei. Sure 4,157-159 legt die Mehrheit der muslimischen Theologen so aus, dass Judas, der Verräter, oder ein anderer an der Stelle Jesu gekreuzigt wurde. Gott hat Jesus direkt zu sich in den Himmel erhoben, was ihn ebenfalls deutlich von Mohammed unterscheidet, der einen natürlichen Tod stirbt. Mohammed selbst soll eine tiefe Abneigung gegen das christliche Symbol des Kreuzes gehegt haben. Die Kreuzigung erscheint muslimischen Augen als eine eindeutige Schmach und eine undenkbare Niederlage für einen Gesandten Gottes. Der Gedanke, dass ein Unschuldiger für die Sünde eines anderen stirbt, ist dem Koran ebenso fremd wie das oben beschriebene Gebot der Feindesliebe. Die Botschaft vom Kreuz widerspricht dem zentralen Inhalt des Koran, dass der Mensch von Natur aus zum Guten fähig ist und die Gnade Gottes lediglich in der koranischen Rechtleitung darüber besteht, was ihm erlaubt und verboten ist. Die geschenkte Vergebung steht im Widerspruch zur islamischen Werkgerechtigkeit, das Symbol der Waage für die Abrechnung guter und schlechter Taten im Kontrast zum Kreuz, an dem nach biblischer Offenbarung der heilige und gerechte Gott selbst den teuersten Preis für seine Retterliebe zu dem verlorenen Sünder bezahlt hat.

 

Orientierung 2009-02; 15.04.2009

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