Fatwa (Mz. Fatwas oder nach dem Arabischen eigentlich fatawa) ist der arabische Begriff für ein durch einen Mufti (Rechtsgelehrten) erstelltes Rechtsgutachten zu religiös-rechtlichen Fragen. Um solch ein Gutachten kann jeder Muslim bitten (heute auch im Internet online abfragbar), der im praktischen Alltag eine zuverlässige Antwort für glaubensgemäße Lebensführung sucht. Ratsuchende vertrauen, dass die Antworten mit den Aussagen des Koran, der islamischen Überlieferung oder des islamischen Gesetzes (der Scharia) vereinbar sind.

Dr. Christine Schirrmacher sagt dazu: „Die Fatwas der Dozenten der al-Azhar und insbesondere der Vorsitzenden des Rechtsgutachterrates (arab. dar al-ifta) genießen bei Sunniten besondere Beachtung, die in ihrer Tragweite am ehesten den offiziellen Verlautbarungen der christlichen Kirchen gleicht, obwohl auch die Fatwas der al-Azhar keine Rechtsverbindlichkeit besitzen, sondern letztlich Privatäußerungen des betreffenden Gelehrten darstellen.“

Eine Fatwa besteht in der Regel aus zwei Teilen: 1) der Schilderung eines Sachverhalts, die mit der Frage des Ratsuchenden abschließt – und 2) der Antwort des Mufti, die aus einer einfachen Zustimmung (Ja) oder Ablehnung (Nein) bestehen kann. Bei schwierigeren Fragen wird die Antwort oft vom Mufti begründet, zum Teil unter Angabe der Quellen, auf die er seine Entscheidung stützt. Es reicht nicht aus, wenn ein Mufti das Problem nur erörtert oder auf kontroverse Stellungnahmen von Rechtsgelehrten hinweist; er muss eine Entscheidung fällen.

Wie entstanden die ersten Fatwas?

Im Koran steht: „Sie fragen dich, was man spenden soll/ob es erlaubt ist, im heiligen Monat zu kämpfen… Sag: …“ So wurde der Prophet befragt, und so gab er im Auftrag Allahs Antworten (Sure 2,215; 217). Gott und Mohammed sind die Instanzen, an die sich die Muslime der medinensischen Gemeinde bei Problemen und Auseinandersetzungen zu wenden hatten: „Ihr Gläubigen! Gehorcht Gott und dem Gesandten und denen unter euch, die zu befehlen haben (oder: zuständig sind)!“ Sure 4,59

Wer ist autorisiert?

Ein Mufti heute kann ein Rechtsgutachten im Sinne der Rechtsschule erteilen, der er angehört. Eine bestimmte Ausbildung für ihn ist nicht vorgeschrieben; meist hat er ein offizielles Amt inne. Der Mufti muss allerdings Muslim sein und einen gutem Ruf haben, er soll Arabisch beherrschen und das islamische Recht gut kennen, um eine ausgewogene Antwort geben zu können. Die Antwort kann ein Verbot für eine beabsichtigte Handlung enthalten oder eine Erlaubnis wegen Unbedenklichkeit.

Sind Fatwas bindend?

Dr. Ch. Schirrmacher: „Muftis besaßen in der Geschichte teilweise große Autorität, obwohl ihre Auskünfte im sunnitischen Islam keinerlei Rechtsverbindlichkeit besitzen. Diese im Grunde private Meinungsäußerung eines Gelehrten, die natürlich durch seine Bekanntheit, sein Ansehen oder ein von ihm bekleidetes Amt zusätzliches Gewicht erhalten kann, ist also für niemand verpflichtend. Niemand, der eine solche Auskunft begehrt hat, muss der betreffenden Antwort Folge leisten. Er kann jederzeit von anderer Stelle eine anders lautende Fatwa anfordern und sich nach dieser zweiten Auskunft oder nach keiner der beiden in seiner Handlungsweise ausrichten. Im schiitischen Islam allerdings sind Fatwas rechtsverbindlich; man muss ihnen Folge leisten. Daher hatte die Ende der 1980er Jahre erlassene Fatwa Ayatollah Khomeinis – vom höchsten schiitischen Gelehrten, Khomeini, verkündet – gegen den in Großbritannien geborenen muslimischen Schriftsteller Salman Rushdie gesetzesähnlichen Charakter.“

Fatwas im Internet

Sammlungen der Fatwas ruhmreicher Muftis sind als Nachschlagewerke verfügbar. Zu vielen strittigen Fragen sind dort bereits Auskünfte zu finden. Heute stehen viele Fatwas auf verschiedenen Web-Seiten – hier können auch Fragen an bestimmte Muftis gestellt werden. Muslime unserer Zeit stehen oft vor Fragen, die es in der Frühzeit des Islams so noch nicht gab. Durch die Bitte um ein Rechtsgutachten ist es jederzeit möglich, religiöse Orientierung zu bekommen. Inzwischen gibt es z. B. im türkischen Fernsehen Programme, bei denen in allgemeiner Weise auf religiöse Fragen geantwortet wird.

Beispiele für Web-Seiten:

www.fatwa-online.com enthält zahlreiche aktuelle Fatwas. Die Kategorien dort sind: Kaufen und Verkaufen, Glaubensbekenntnis, Neuerungen, Heirat, Frauenangelegenheiten, Anbetung, Unterschiedliches. 37 wichtige Fatwas gibt es dort zum Leben als muslimische Minderheit in einem nicht-muslimischen Land. www.fatwaislam.com enthält 1.351 Fatwas. Bei www.islam.tc/ask-imam/ können 10.016 Fatwas nachgelesen werden.

www.islaminstitut.de ist die Website eines Instituts, das christliche Werte vertritt. Hier sind eine Reihe von Fatwas zu finden, die aus den Originalsprachen übersetzt sind und teilweise schockierenden Einblick in islamisches Denken geben.

Beispiele für Fatwas:

Fatwa zu der Frage, ob Demonstrationen und Proteste im Islam erlaubt sind. Demonstrationen sind auf keinen Fall erlaubt…

Fatwa zu der Frage, ob ein Muslim ein Verhältnis mit Sklavinnen haben darf, ohne sie zu heiraten. Wenn die Bedingungen zur Versklavung der Frau gegeben sind, ist es erlaubt, weil die Frau dann als Besitz gilt…

Fatwa zu der Frage, ob ein Muslim einen „Ungläubigen“ begrüßen darf. Ein Muslim darf nicht mit der Begrüßung beginnen… Die Begrüßung ist Ausdruck von Zuneigung…

Fatwa zu der Frage, ob Muslime an christlichen Festen wie Weihnachten teilnehmen dürfen. Muslime dürfen nicht teilnehmen. Warnung vor Nachahmung und Gefahr, ihnen in ihrer (christlichen) Ethik ähnlich zu werden…

Fatwa zu verschiedenen Arten der erlaubten Lüge im Islam. Lügen sind erlaubt, um etwas Schlimmeres abzuwehren oder zu verhindern. Erlaubt, um einen Vorteil zu erlangen. Die Mehrdeutigkeit von Worten kann genutzt werden…

Aus christlicher Sicht

Die Bibel unterstützt den Gedanken, Rat einzuholen. Schauen wir uns um, so gibt es eine Fülle von christlichen Ratgebern – auch im Internet. In vielen wichtigen Fragen besteht ein Konsens, doch denken wir an Tauf- und Abendmahlspraxis oder an die Beurteilung geistlicher Gaben, dann scheinen die Ratgeber nicht in allen Punkten gleiche Erkenntnis zu haben. Wir werden in Jak 1,5ff ermutigt, Gott direkt im Gebet um Weisheit in bestimmten Fragen zu bitten. Zudem ist Wegweisung zu suchen durch Gottes Wort und Leitung durch den Heiligen Geist. Fragende Muslime wollen es richtig machen, ihnen fehlt jedoch die grundlegende Einsicht, dass Gott selbst dafür gesorgt hat, dass wir vor ihm als gerecht bestehen können (Röm 10,2-4). Gott wurde in Jesus Mensch. Er kam vom Himmel und bezeugte, was er dort gesehen und gehört hat. Doch keiner hört auf ihn. Wer aber Jesus ernst nimmt, ihm vertraut, hat das ewige Leben (Joh 3,31-36). Ein begnadigter Sünder stellt sich vor allem die Frage, wie er Gott danken und ehren und ihm durch seine Nachfolge dienen kann – ohne ein „Schema F“. Siehe auch Luk 18,18-30; 1. Kor 10,23-33; Eph 4,13ff; Gal 3,10ff.

 

Orientierung 2011-04; 01.09.2011

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