Der kommende Tag des Gerichts ist für Muslime das entscheidende Ereignis, auf das die gesamte Weltgeschichte zuläuft. Der Glaube an die Auferstehung der Toten und das Gericht Gottes über die Taten der Menschen gehört zu den grundlegenden islamischen Glaubensverpflichtungen. „Wer an Allah und den jüngsten Tag glaubt und Gutes tut, (alle diese) erhalten ihren Lohn bei ihrem Herrn, sie haben nichts zu befürchten, und sie werden nicht traurig sein.“ (Sure 2, 62) Wer den „jüngsten Tag“ leugnet, gehört zu den Ungläubigen. Besonders in der Anfangszeit seines Auftretens hat Mohammed mit aufrüttelnden Worten das Gericht Gottes angekündigt, vor der „nahen“ Abrechnung (Sure 53,57) gewarnt und seinen Zuhörern Höllenfeuer und Paradies in leuchtenden Farben vor Augen gemalt. Allerdings finden wir im Koran zwar eine Beschreibung vom Tag des Gerichts und seinen Begleiterscheinungen (vgl. und andere Sure 99 und 101), jedoch keine ausführlichen Prophezeiungen über den Verlauf der endzeitlichen Geschichte. Weit mehr Material zu diesem Thema enthalten die Hadithen, kurze Berichte über Aussagen und Handlungsweisen Mohammeds, die nach seinem Tod weitererzählt und gesammelt wurden. Da jedoch im Islam die Zuverlässigkeit der einzelnen Hadithen umstritten ist, gibt es auch kein einheitliches Bild der „Endzeit“.

Ein Schema über die Reihenfolge der endzeitlichen Geschehnisse bezieht sich auf einen Hadith, der besagt: „Der jüngste Tag wird nicht hereinbrechen, bevor ihr die zehn Zeichen dafür gesehen habt.“ Dort werden dann die folgenden Ereignisse genannt:

1. Duchan: ein großer Rauch wird die ganze Erde überziehen (Sure 44,10+11). Dieses Ereignis wird vierzig Tage lang andauern.

2. Dadschal: ein Betrüger wird sich zum Gott erklären und fast alle Menschen verführen, obwohl er an seiner Stirn die untilgbare Schrift „Kafir“, Ungläubiger, trägt und sein rechtes Auge einer „heraushängenden Weintraube“ gleicht.

3. `Isa (islamischer Name für Jesus) wird wiederkommen. Der Islam lehrt, dass Jesus nicht am Kreuz starb, sondern von Gott zu sich in den Himmel erhoben wurde. Nach dem Koran ist Jesus „ein Erkennungszeichen des Jüngsten Tages“ (Sure 43,61). – Mohammed soll gesagt haben: „`Isa, der Sohn der Maryam, wird bald als gerechter Richter kommen, das Kreuz zerbrechen, das Schwein töten, die Kopfsteuer abschaffen…“ Außerdem werde er Kirchen und Synagogen in Trümmer legen und alle Christen, die den wahren Glauben, d. h. den Islam, nicht annehmen wollen, niedermachen. Andere Überlieferungen besagen, dass er auf ein Minarett östlich von Damaskus herabsteigen und den Dadschal töten werde. – Er soll durch sein Gebet auch dem folgenden Vorzeichen des nahenden Gerichts ein Ende bereiten:

4. Gog und Magog: zwei Völker unbestimmter Herkunft werden sich über die Erde verbreiten und eine Zeitlang in ihrer Umgebung Unheil anrichten (Sure 21,96).

5. Ein Tier aus der Erde: wird den Menschen ihren Unglauben vorwerfen (Sure 27,82).

6. Die Sonne wird im Westen aufgehen.

7. In der Gegend des Hedschas (in Arabien) wird ein großes Feuer ausbrechen.

8., 9. und 10. Drei große Bodensenkungen werden sich ereignen – eine im Osten, eine im Westen und eine auf der arabischen Halbinsel.

Andere Überlieferungen nennen weitere Personen (z. B. den Mahdi, der zum Teil mit Jesus gleichgesetzt wird) und Ereignisse, durch die das nahe Ende der Geschichte angekündigt wird: „Dass das Wissen verschwindet und Unwissenheit herrscht, dass verschiedene alkoholische Getränke zu sich genommen werden und der Ehebruch öffentlich begangen wird, sind gewiss Zeichen des jüngsten Tages.“

Auch folgender Ausspruch wird Mohammed zugeschrieben: „Zählt sechs Zeichen, die sich ereignen, bevor der jüngste Tag hereinbricht:

1. Mein Tod.

2. Die Eroberung von Quds (Jerusalem).

3. Verfall der Menschen durch eine Krankheit, die der Schafspest ähnelt.

4. Überfluss an Hab und Gut. Wenn einem hundert Goldstücke gegeben werden, und er zürnt, weil er es als gering ansieht und damit nicht zufrieden ist.

5. Die Ausweitung eines Unfriedens, der ohne Ausnahme in jedem arabischen Haus herrschen wird.

6. Dass zwischen euch und der gelben Rasse ein Friedensabkommen geschlossen wird, dass sie diesen Frieden brechen und mit achtzig Bannern (in jedem davon sind zwölftausend Soldaten) zu euch kommen und euch angreifen.“

Bei unterschiedlichen Muslimen, z. B. bei Sunniten und Schiiten, begegnen wir unterschiedlichen Vorstellungen vom Ablauf der Ereignisse vor dem Tag des Gerichts. Die große, allen gemeinsame Perspektive ist die Erwartung des jüngsten Gerichts und der Wiederkunft Jesu als eines wichtigen Vorzeichens. Was in den islamischen Endzeiterwartungen nicht vorkommt, ist die Entrückung der Gemeinde Jesu und das Kommen Jesu als Messias Israels. Jesus ist im Islam auch nicht der, dem der Vater alles Gericht übergeben hat (Joh. 5,22; Apg. 17,31). – Auch wenn der Islam von der Wiederkunft Jesu spricht: es ist ein anderer Christus, der erwartet wird.

 

Orientierung 1998-02; 15.03.1998

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