Die Einwanderung der Türken aus Zentralasien nach Anatolien

Die ursprüngliche Heimat der Turkvölker liegt in Zentralasien im Gebiet des Altai Gebirges. Bedingt durch das Vordringen der Mongolen wanderten Nomadenstämme aus Zentralasien nach Westen ab. So kam es Mitte des 11. Jahrhunderts zur Einwanderung der muslimischen Seldschuken nach Anatolien. Dort trafen sie auf das Oströmische Reich Byzanz. Alp-Arslan brachte in der Schlacht von Mantzikert (1071) dem Byzantinischen Reich eine verheerende Niederlage bei. In der Folge kam es im 12. Jahrhundert zur ungehinderten Landnahme weiterer Nomadenstämme in Kleinasien. Konya (Ikonium) wurde zur Hauptstadt des Reiches. Nach dem Sieg der Mongolen 1243 über die Seldschuken zerfiel das Reich in einzelne Fürstentümer.

Das Osmanische Reich (1299-1923)

Um 1299 gründete ein türkischer Stamm unter seinem Anführer Osman ein kleines Fürstentum und machte 1326 Bursa (Brussa) zur Hauptstadt. Nach und nach dehnte er seinen Einfluss und seine Macht aus. Die zweitgrößte Stadt des Byzantinischen Reiches, Edirne (Adrianopel), fiel 1362 an die Osmanen. Mazedonien wurde 1371 erobert. Die Elitetruppe der Janitscharen wurde 1330 gegründet. Ab 1438 wurde sie systematisch durch die so genannte Knabenlese auf dem Balkan rekrutiert. Je nach Bedarf wurden von den christlichen Völkern bis zu jedem 5. Jungen im Alter von 7 – 14 Jahren ausgewählt. Diese Jungen waren dem Zölibat unterworfen, dem Sultan zu absolutem Gehorsam verpflichtet und wurden unter strenger Disziplin zu muslimischen Soldaten ausgebildet. In der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo) 1389 besiegte Murad I. die verbündeten christlichen Fürsten aus Serbien, Bosnien, Bulgarien und Albanien. Damit fand das Großserbische Reich sein Ende und große Teile des Balkans blieben 500 Jahre unter osmanischer Herrschaft. Nach dem Sieg über die Ungarn 1448 bereitete Mehmed II. (der Eroberer) die Einnahme Konstantinopels vor. Die Stadt fiel am 29. Mai 1453 nach 54-tägiger Belagerung. Die Kirche „Zur Heiligen Weisheit“ (Hagia Sophia) wurde in eine Moschee umgewandelt. Die alte Bevölkerung aus Griechen, Armeniern und Juden wurde zum Bleiben aufgerufen. Als letzter Rest des byzantinischen Staates wurde 1460 das Kaiserreich Trapezunt (Trapzon) am Schwarzen Meer unterworfen. Selim gelang 1514 ein Sieg gegen die Safawiden in Persien. Schließlich wurde 1516/1517 das Mamelukkenreich in Ägypten besiegt. Damit wurde das Osmanische Reich auch der Hüter der Heiligen Stätten des Islam. Seit 1517 führten die osmanischen Sultane den Titel des Kalifen. Die Ära von Süleyman I. (1520-1566) bildete den Höhepunkt der Macht des Osmanischen Reiches. Die Osmanen verdankten ihren Erfolg vor allem ihrer Armee (stehendes Heer) und ihrer gut strukturierten Verwaltung. Bauern, Händler und Handwerker hatten eine vergleichsweise geringe Steuerlast zu tragen. Die zweite erfolglose Belagerung Wiens 1683 wurde zum Wendepunkt der Ausbreitung des Osmanischen Reiches in Europa. Das polnische Heer unter Jan Sobieski besiegte am 12. September 1683 das Osmanische Heer und zwang so die Türken zum Rückzug. Im Inneren traten Zeichen des Verfalls zu Tage. Verschwendung und Bestechung kennzeichneten das Leben am Hofe. Durch die Entdeckung des Seeweges nach Indien verlor auch der Handel an Bedeutung. Im russischen Krieg 1768-1774 wird die osmanische Flotte durch Russland vernichtet. Die Krim wird unabhängig und später von Russland annektiert. Russischen Schiffen wird die freie Durchfahrt vom Schwarzen Meer ins Mittelmeer garantiert. Durch weitere Kriege versuchte das Osmanische Reich, Aufstände auf dem Balkan zu unterdrücken und seine Gebiete zu wahren, was jedoch immer weniger gelang. Nach dem Frieden von San Stefano vom 3. März 1878 verlor das Osmanische Reich alle Gebiete auf dem Balkan. Auf dem Berliner Kongress wurde der Balkan neu aufgeteilt. Wieder forderte Russland das Protektorat über alle Orthodoxen Christen im Osmanischen Reich, was jedoch abgelehnt wurde. Russland sah sich als der Schutzpatron aller orthodoxen Völker. Teile der armenischen Bevölkerung des Osmanischen Reiches setzten ihre Hoffnung auf Russland bei der Gründung eines armenischen Staates. Während des Ersten Weltkrieges kam es zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und dem Osmanischen Reich. Nach dem Scheitern der türkischen Offensive gegen Russland gab man den Armeniern die Schuld, die das christliche Russland unterstützt hätten. So kam es zu einem Genozid, in dessen Verlauf zwischen 600.000 und 1,5 Million Armenier und andere christliche Minderheiten den Tod fanden. Der Großwesir Damad Ferid Pascha gestand am 11. Juni 1919 die Verbrechen öffentlich ein. Spätere türkische Regierungen betrieben dagegen eine Leugnung des Völkermordes und stellten ihn als Folge von Kriegshandlungen dar. Nach dem Ersten Weltkrieg sahen die Siegermächte im Vertrag von Sèvres eine Aufteilung des Osmanischen Reiches und die Gründung eines armenischen und eines kurdischen Staates vor.

Die Türkische Republik

Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches und der Aufteilung durch die Siegermächte im Vertrag von Sèvres nahmen unter der Führung von England die Siegermächte massiven Einfluss auf die politische und wirtschaftliche Lage der Türkei. Gegen diese Entwicklung formierte sich politischer und militärischer Widerstand, an dessen Spitze sich der General Mustafa Kemal (1881-1938) setzte. Er organisierte den Befreiungskampf von der Zentraltürkei aus und wandelte ihn in einen Unabhängigkeitskrieg um. Lokale Mullahs riefen zum Dschihad gegen die Besatzer auf. Mustafa Kemal rief in Ankara am 23. April 1920 eine Nationalversammlung zusammen und bildete eine Nationalregierung. Die russischen Truppen wurden besiegt und zurückgedrängt. Am 3. Dezember 1920 schloss Mustafa Kemal einen Vertrag mit der Sowjetregierung über die Festlegung der Grenze in Ostanatolien. Im selben Jahr wurden die französischen und italienischen Truppen aus der Südtürkei vertrieben. Die griechischen Invasionstruppen hatten 1919 von Izmir ausgehend weite Teile der Westtürkei einschließlich Bursa besetzt. Ziel war es, die Idee eines Großgriechenlands zu verwirklichen. Im Laufe des Jahres 1922 gelang es den türkischen Truppen, die griechische Armee in mehreren Schlachten zu besiegen und Izmir zurückzuerobern. 213.000 Griechen flohen aus der Stadt, die in Flammen aufging. Mustafa Kemal erklärte am 1. November 1922 den Sultan Mehmet VI. für abgesetzt und rief die Republik aus. Am 24. Juli 1923 wurde der Friedensvertrag von Lausanne unterzeichnet und die heutigen Grenzen der Türkei völkerrechtlich anerkannt. Ausnahmen bildeten das Sandjak Mosul und Antakya, die später geregelt werden sollten. Die Alliierten beendeten am 2. Oktober 1923 die Besetzung Istanbuls. Man siedelte die griechische Bevölkerung der Westtürkei nach Griechenland um. Millionen Türken vom Balkan wurden im Gegenzug in die Türkei umgesiedelt. Ankara erklärte man zur neuen Hauptstadt der Türkei. Am 29. Oktober wurde Mustafa Kemal zum ersten Präsidenten der Türkei gewählt. Er setzte in einem rasanten Tempo Reformen durch, die aus der islamisch geprägten Türkei einen modernen Staat westlicher Prägung machen sollten. Ein wesentliches Prinzip bildete dabei der Laizismus, die Trennung von Politik und Religion. Diese Politik des „Kemalismus“ wurde zur tragenden Staatsideologie. 1934 wurde Mustafa Kemal auf Parlamentsbeschluss hin der Beinamen „Atatürk“, Vater der Türken, verliehen.

Die Türkei auf dem Weg nach Europa

Seit ihrer Gründung sucht die Türkei zielstrebig die Anbindung an Europa. Bereits 1949 wurde sie Mitglied des Europarates und 1952 Vollmitglied in der NATO. Ein Assoziierungsabkommen der EWG mit der Türkei wurde 1963 geschlossen. Ein Zusatzprotokoll sah eine spätere Vollmitgliedschaft in der EG vor. Am 1.1.1996 wurde die Zollunion mit der EU verwirklicht. Nach langen Verhandlungen wurde der Türkei 1999 der Kandidatenstatus für die Aufnahme in die EU zugestanden. Der Beschluss zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen wurde 2004 gefasst.

 

Orientierung 2005-02; 15.04.2005

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