Muslime rühmen oft die Toleranz des Islam und berufen sich dabei auf Sure 2, 256: „In der Religion gibt es keinen Zwang.“

In der Tat: wenn muslimische Heere Gebiete eroberten, in denen Christen, Juden oder Zarathustra-Anhänger lebten, wurden diese nicht gezwungen, den Islam anzunehmen, sondern konnten auch unter islamischer Herrschaft ihre Religion beibehalten. Allerdings haben diese religiösen Gruppen nach traditionellem islamischem Recht in einem islamischen Staat nicht die gleichen Rechte wie die Muslime. Sie gelten als „Schutzbefohlene“ oder „Schutzberechtigte“ (Ahlu-dh-Dhimma), d. h. dass Muslime ihnen unter bestimmten Bedingungen Schutz für ihr Leben und ihren Besitz garantieren und gewisse Freiheiten gewähren dürfen. Auf islamischer Seite ist nur der jeweilige Herrscher berechtigt, den entsprechenden Schutzvertrag abzuschließen. Der Koranvers, auf den sich diese Regelung im Wesentlichen stützt, steht in Sure 9,29: „Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und den Jüngsten Tag glauben und nicht verbieten, was Allah und sein Gesandter verboten haben, und nicht der wahren Religion angehören – von denen, die die Schrift erhalten haben – bis sie, sich erniedrigend, Tribut entrichten.“ Gegen die Götzendiener (Polytheisten) sollen die Muslime nach Sure 9,5 allerdings so lange kämpfen, bis jene getötet werden oder sich zum Islam bekehren.

Erniedrigung

Solange die „Schutzbefohlenen“ nicht bereit sind, den Islam, die beste Religion (Sure 3,19 und 3,110) anzunehmen, muss ihnen ihre Unterlegenheit und die Minderwertigkeit ihres Glaubens immer wieder vor Augen geführt werden. Den Nichtmuslimen soll ein Leben im Rahmen der islamischen Gesellschaft ermöglicht werden, damit sie schließlich die Vorzüge der Scharia erkennen und sich zum Islam bekehren. Weder aus dem Koran noch aus dem Beispiel Mohammeds oder der ersten Kalifen lassen sich völlig einheitliche Bestimmungen für den Umgang mit den „Schutzbefohlenen“ ableiten. Deshalb können hier nur einige Regeln skizziert werden, die je nach Situation und Land stark abgewandelt werden konnten. Der „Schutzvertrag“ soll für die ganze Lebenszeit gelten. „Schutzbefohlener“ (Dhimmi) kann jeder erwachsene, freie Angehörige einer Buchreligion sein, der Verstand besitzt, zum Kampf fähig ist und die Kopfsteuer (Dschisya) zu zahlen vermag. Kinder, Frauen, arbeitsunfähige Männer und Personen, die kein Einkommen haben, brauchen keine Kopfsteuer zu bezahlen. Die Kopfsteuer war je nach Epoche oder Gebiet unterschiedlich hoch. Sie konnte allerdings zu manchen Zeiten als so belastend empfunden werden, dass „Schutzbefohlene“ es vorzogen, den Islam anzunehmen, um von der Kopfsteuer befreit zu werden. Die Gesetze, die den Dhimmi-Status definieren, zielen darauf ab, es den unterworfenen Anhängern anderer Religionen unmöglich zu machen, den Aufbau der islamischen Gesellschaft in irgendeiner Form zu behindern oder gar zu gefährden.

Verbote und Einschränkungen

So ist es nach islamischem Gesetz den „Schutzbefohlenen“ verboten, den Koran, Mohammed oder den Islam zu kritisieren (vgl. das Blasphemiegesetz in Pakistan), einen Muslim in Bezug auf seine Religion zu verwirren oder die Feinde der islamischen Welt zu unterstützen. Sie dürfen keine Positionen einnehmen, in denen sie über Muslimen stehen könnten, besonders in der Regierung, im Richteramt (für das der Islam die wichtigste Voraussetzung ist), im Militär oder als Polizisten. Allerdings werden von einigen Rechtsgelehrten den „Schutzbefohlene“ eigene Richter für die Regelung „innerer Angelegenheiten“ zugestanden. Wenn sie auch nicht gezwungen werden, den Islam anzunehmen, sollen sie jedoch vor allem in den Städten daran gehindert werden, die Kennzeichen ihres Glaubens zu zeigen, weil im Herrschaftsbereich des Islam keine Kennzeichen des Unglaubens geduldet werden sollen. In manchen Gegenden war und ist es jedoch Christen erlaubt, ihre Kreuze zu zeigen, Glocken zu läuten und Kirchen oder Klöster zu bauen, in anderen war und ist es ihnen verboten. Auch hinsichtlich Kleidung und Kopfbedeckung sollten sich zum Teil bis heute die Angehörigen anderer Religionen von den Muslimen unterscheiden – damit sowohl ihr Ungehorsam gegenüber dem Islam als auch ihre Erniedrigung offen sichtbar werden. Zeitweilig sollten Christen und Juden sich durch die Farbe ihres Gürtels als Nichtmuslime zu erkennen geben.

Freiheiten

Der Genuss von Wein und Schweinefleisch soll den „Schutzbefohlenen“ straffrei erlaubt sein. Allerdings wird ihnen in der Regel verboten, Wein und Schweine in der islamischen Öffentlichkeit sehen zu lassen. Im Übrigen sollen sie jedoch – wie die Muslime – dem islamischen Strafrecht unterworfen sein. Das islamische Recht gesteht den „Schutzbefohlenen“ prinzipiell ihr eigenes Eherecht zu. Streit gibt es über die Fragen, wie zu verfahren sei, wenn ein Dhimmi zum Islam übertritt, wenn Angehörige verschiedener nicht-islamischer Religionen heiraten wollen bzw. welcher Religion die aus einer solchen Ehe hervorgehenden Kinder angehören sollen. Auch im Rahmen des Erbrechts wird den „Schutzbefohlene“ eine gewisse Eigenständigkeit gewährt. Selbst wenn den „Schutzbefohlenen“ also innerhalb der islamischen Gesellschaft in einem sehr eingeschränkten Rahmen „Religionsfreiheit“ und die interne Regelung einiger rechtlicher Fragen zugestanden wird, sind sie im Grunde doch „Bürger zweiter Klasse“ und mancherlei Diskriminierungen ausgesetzt.

 

Literatur: Ishak Ersen, Die Rechte und Pflichten der Juden und Christen in einem islamischen Staat, Licht des Lebens, Villach, Österreich, 1992

 

Orientierung 1998-04; 15.09.1998

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