Längst nicht alle „Muslime“ sind vom Islam überzeugt. Manche suchen eine Alternative.

 

Vor einigen Wochen kam ich in Kontakt mit einer kurdischen Familie aus dem Süd-Osten der Türkei: Vater, Mutter und fünf Kinder; alle sieben sind getauft. Natürlich interessierte ich mich für ihre Geschichte. Der Vater erzählte gerne:

„Wir wohnten in einer Kleinstadt in einem hundertprozentig muslimischen Umfeld. Persönlich gehörte ich nicht zu den frommen Muslimen. Meine Frau hingegen kommt aus einer sehr islamisch geprägten Familie. Was ich dir jetzt erzähle, liegt schon viele Jahre zurück.

 

Wirklich Gottes Gesetz?

Wir hatten damals erst zwei Kinder, und die waren noch klein. Eines Tages ärgerte ich mich gewaltig. Das Ärgernis betraf noch nicht einmal meine Frau, aber es kam so, dass sich mein Zorn hauptsächlich über meine Frau ergoss. Der Streit eskalierte. Nach islamischer Regel kann sich der Mann von seiner Frau scheiden, indem er drei Mal die Worte „ich verstoße dich“ wiederholt. Um gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen, wiederholte ich diese Worte nicht drei Mal, sondern neun Mal. Daraufhin brachte ich meine Frau und die beiden kleinen Kinder ihrem Vater zurück und sagte: „Ich brauche sie nicht mehr.“ Der Schwiegervater antwortete: „Gut, wenn du es so meinst, nehme ich meine Tochter wieder zurück. Aber die Kinder sind deine Kinder. Nimm sie mit und sieh zu, wie du zurechtkommst!“

Ich war natürlich in einer schwierigen Lage. Als sich mein Zorn gelegt hatte und ich wieder klar denken konnte, wusste ich bald, dass ich einen Fehler gemacht hatte. Was sollte ich nur mit den beiden Kindern anfangen? Nach etwa einer Woche ging ich reumütig zu meinem Schwiegervater zurück und bat ihn, mir zu verzeihen und mir meine Frau wieder zu geben. „Nach den Regeln des Islam geht das nicht.“ sagte er. „Du hast sie verstoßen, sie kann nicht mehr deine Frau werden. Die einzige Möglichkeit, die das religiöse Gesetz offen lässt, ist die, dass meine Tochter zunächst von einem anderen Mann geheiratet wird, die beiden mindestens drei Monate zusammen leben und dieser andere Mann sie dann wieder scheidet. Dann könntest du sie theoretisch wieder bekommen.“

Ich konnte nicht glauben, dass Gott oder die Islamgelehrten solch ein Gesetz erlassen haben könnten. Mein Schwiegervater sagte: „Wenn du mir nicht glaubst, dann geh zum Hodscha (muslimischer Lehrer)“. Ich ging zum Hodscha. Dieser konnte beim besten Willen nur die Aussage meines Schwiegervaters bestätigen. „Das darf doch nicht wahr sein! So etwas gibt’s doch nicht! Gibt es da wirklich gar keinen Ausweg?“ fragte ich. „Es gibt einen sehr hochgestellten Hodscha in der Provinzhauptstadt. Der hat die Vollmacht, über die Auslegung der islamischen Gesetze bindende Aussagen zu machen. Wenn du willst, geh‘ dorthin, und schau, ob jener Hodscha dir helfen kann!“ Ich war sehr verzweifelt, reiste in die Provinzhauptstadt, suchte besagten Hodscha auf und legte ihm mein Anliegen vor. Zunächst machte er mir keine Hoffnungen. Aber ich flehte ihn dermaßen intensiv an, dass er endlich ein Papier zur Hand nahm, in Arabisch etwas darauf kritzelte und mich mit dem Papier zu meinem Schwiegervater schickte. Ich erhielt meine Frau zurück und war sehr sehr dankbar. Gleichzeitig verlor ich nachhaltig jegliche Achtung vor dem Islam als Religion und Verhaltensnorm. Als wir in Deutschland einen arabischen Christen kennen lernten, dessen Hilfsbereitschaft, Frömmigkeit und Lebensstil uns beeindruckten, und als wir mit ihm Gottesdienste besuchten, war uns unsere nominelle Zugehörigkeit zum Islam kein Hindernis. Nach und nach nahmen wir alle das Evangelium an und ließen uns taufen.“

 

Wirklich Gottes Weg?

Auch die aus frommem muslimischen Hause stammende Frau erzählte ein Erlebnis, das ihren Glauben an den Islam erschütterte: „Ich hatte eine Kusine im heiratsfähigen Alter. Ihr Vater hatte vor, sie mit einem Mann aus seinem Freundeskreis zu verheiraten. Aber meine Kusine mochte ausgerechnet jenen Mann überhaupt nicht. Doch ihr Vater wollte nicht auf sie hören. Sie hätte nur zu gehorchen, sagte er unmissverständlich. In einem unbeobachteten Moment suchte die Tochter das Weite und tauchte unter. Die geplante Hochzeit konnte nicht stattfinden, was eine gewaltige Blamage für die Familie bedeutete. Viele Leute suchten tagelang nach der verschollenen Tochter. Vergeblich. Aber nach mehr als einem Monat wurde sie doch irgendwo gesehen. Mehrere Männer aus der Verwandtschaft spürten sie auf und brachten sie mit Gewalt zu ihrem Vater zurück. Dort wurde sie in einen Raum eingesperrt und sicher verwahrt. Nach etwa einer Woche wurde sie in einer Nacht zum Ufer eines größeren Flusses gebracht und ins Wasser geworfen. Sie ertrank. Die Täter waren allesamt angesehene fromme Muslime. Sie meinten, die „besudelte“ Familienehre wieder „reinigen“ zu müssen. „Und das soll der Weg Gottes sein?“ fragte die Erzählerin. Sie brauchte damals viele Wochen, um sich von ihrem Schock zu erholen. „Der Islam ist falsch“, sagte sie jetzt mit Nachdruck.

 

Erlaubnis zum Egoismus?

Später sprachen wir über die Beziehungen zwischen Mann und Frau. Herr Y. sagte mir im Beisein seiner Frau: „Wenn wir nicht Christen geworden wären und wenn wir als Muslime hätten in die Türkei zurückkehren müssen, hätte ich mir dort eine zweite Frau zugelegt, vielleicht auch eine dritte. Das ist ja in unserem früheren Umfeld dort so üblich.“ Zu seiner Frau gewandt, zählte er dann drei oder vier Männer aus ihrer (frommen!) Verwandtschaft auf, die auch mehrere Frauen geheiratet haben. (Offiziell gilt in der Türkei die Einehe vor dem Standesamt. Mit Hilfe des Hodscha können jedoch noch bis zu drei zusätzliche Frauen geheiratet werden.) In einer Gesprächspause nahm Frau Y. allen Mut zusammen und fragte ihren Mann, weshalb er denn noch eine zusätzliche Frau hätte heiraten wollen. „Ich habe dir überhaupt nichts vorzuwerfen“ antwortete er. „Du bist mir immer eine gute Ehefrau gewesen. Ich war nicht immer gut zu dir, du hast mir vieles vergeben, das weißt du ja. Dass ich daran dachte, eine zusätzliche Frau zu heiraten, war aus purem Egoismus. Ich hätte bloß das getan, was viele fromme Muslime auch tun; auch sie denken dabei nur an ihre eigenen Vorteile. Warum sollen sie nicht, wo dies ihnen doch erlaubt ist? Aber hab‘ keine Angst. Jetzt sind wir Christen, und da gelten andere Maßstäbe. Wir werden einander treu bleiben…“

Herr und Frau Y. sind bei weitem nicht die einzigen, die vom Islam enttäuscht sind. Aber wie viele von den Enttäuschten werden zur rechten Zeit freundliche Christen kennen lernen, die in ihrer Jesusnachfolge glaubhaft sind und Muslime einladen?

 

Nachsatz: Es ist nicht unsere Absicht, mit diesem Bericht den Islam schlecht zu machen. Dass Christen aus christlichem Hintergrund negativ oder verächtlich über den Islam und die Muslime reden oder im Gespräch den Muslimen Vorwürfe machen verbietet allein schon das Gebot der Nächstenliebe und der Anstand. Wenn allerdings frühere Muslime von ihrem Weg zu Jesus Christus erzählen, ist solch ein Bericht Bestandteil ihres Zeugnisses. – Uns ging es darum, zu zeigen, dass längst nicht alle „Muslime“ vom Islam überzeugt sind und manche eine Alternative suchen.

 

Orientierung 2002-05; 15.02.2000…

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