Johannes Lepsius (1858-1926) – ein Mann mit Vision

 

Der Sohn des Ägyptenforschers Carl Richard Lepsius arbeitete als Pfarrer und Firmengründer. Er rief die Deutsche Orient-Mission ins Leben. Für die Armenier setzte er sich sogar politisch ein. Verschiedene Wege fand er, wie Muslime durch Wort und Tat mit der Botschaft von Jesus Christus erreicht werden konnten.

 

Der Gründer und Pionier

Johannes Lepsius (1858-1926) wuchs als sechstes und jüngstes Kind des Ägyptenforschers Carl Richard Lepsius in Berlin auf. Seine Mutter Elisabeth war eine enge Freundin und Förderin Johann Hinrich Wicherns. Im Hause Lepsius trafen sich viele wichtige Persönlichkeiten des Kaiserreiches aus Politik, Kultur und Kirche. Lepsius studierte Philosophie und Theologie. Nach dem zweiten theologischen Dienstexamen ging er ab 1884 als Hilfsprediger und Lehrer in die Deutsche Gemeinde in Jerusalem. Dort lernte er auch seine Frau Margarethe kennen. 1887 trat Lepsius in Friesdorf im Südharz eine Pfarrstelle an. Schon während dieser Zeit im Pfarramt machte Lepsius von sich reden: Um die Region wirtschaftlich zu beleben, gründete er 1888 in Friesdorf eine Teppich-Manufaktur, in der 40 Frauen Arbeit fanden. Die Gewinne der Manufaktur wollte er für die Missionsarbeit im Orient einsetzen.

 

Missionsgründung und erste Ausrichtung der Arbeit.

1896 wurde die Deutsche Orient-Mission (DOM) gegründet, nachdem Lepsius einige Monate zuvor eine Gebetsbewegung mit dem Schwerpunkt der Mission unter Muslimen ins Leben gerufen hatte. Die Ereignisse in Konstantinopel mit den Auseinandersetzungen zwischen Türken und Armeniern mündeten in die große Verfolgungswelle von 1895/96. Durch diese geschichtlichen Ereignisse wurde die DOM zuerst in eine andere Richtung gelenkt als ursprünglich beabsichtigt. Lepsius sah seine Aufgabe vorläufig darin, über die Geschehnisse in der Türkei zu informieren und die Hilfe für die Armenier zu organisieren.

Im April 1896 reiste er in die Türkei, um sich – als Teppichfabrikant getarnt – selbst ein Bild über die Lage dort zu machen. Mit Geldern, die er aus Kreisen der Gemeinschaftsbewegung erhalten hatte, veranlasste er die Aufnahme der ersten 100 armenischen Waisenkinder, vorerst unter Aufsicht amerikanischer Missionare in Urfa und Talas bei Kaiseri.

Bis 1899 hatte man schon sieben Hilfsstationen in der Türkei, Persien und Bulgarien eröffnen können. Außer Waisenhäusern eröffnete man auch Kliniken, Apotheken, Schulen und Werkstätten. Bemüht war man ebenfalls, den älter werdenden Waisen die Möglichkeit zu geben, einen Beruf zu erlernen und sich eine eigenständige Existenz aufzubauen. Dazu sollte z.B. eine Industrieschule für Möbeltischlerei und Wagenbau dienen. Und um Arbeitsplätze zu schaffen ließ Lepsius seine Teppich-Manufaktur in Friesdorf abbauen und in Urfa (SO-Türkei) wieder aufbauen. Nachdem er nach Deutschland zurückgekehrt war, gründete er zusammen mit dem anderen Pionier der Armenierhilfe, Pastor Ernst Lohmann, den „Deutschen Hülfsbund für Armenien“. (Heute: Christlicher Hilfsbund im Orient, Bad Homburg)

 

Missionarische Arbeit unter Muslimen

Im Jahre 1899 reiste er erneut in die Türkei und kam mit dem Eindruck zurück, dass es nun an der Zeit sei, das ursprüngliche Ziel der „Moslem-Mission“ ins Auge zu fassen. Diese Absicht rief Widerstand hervor. Prominentester Gegner in dieser Frage war der Missionstheologe Gustav Warneck. Lepsius argumentierte trotzdem leidenschaftlich für diese Mission: Man wendet oft gegen jedes Missionswerk unter Muhammedanern ein:‚„Die Stunde Gottes sei noch nicht gekommen” – „Die Thür sei noch verschlossen.”Wenn unsere Uhr still steht, wird die Stunde niemals kommen; und verschlossen bleiben die Thüren, die man nicht öffnet.“

Lepsius rechnete nicht damit, in der Missionsarbeit unter Muslimen schon bald Früchte ernten zu können, sondern ging davon aus, dass eine aufwendige und gründliche Vorarbeit zu leisten sei: „Es ist eine geistige Arbeitsleistung zu tun, die … ein Verständnis des Islams nach seinem religiösen Gehalt zu gewinnen und eine christliche Theologie für die mohammedanische Welt zu schaffen hat. Wenn diese Geistesarbeit, die nur durch Glaubenskräfte geleistet werden kann, nicht gethan wird, wird alle evangelische Arbeit im Orient” vereinzelte rühmliche Ausnahmen abgerechnet „es nicht weiterbringen als bisher d.h. zu einem minderwertigen Abklatsch occidentalischen Christentums und zu völliger Verständnislosigkeit gegenüber dem Geist des Islams.”Er forderte somit eine kontextuelle Theologie für die Islamische Welt.

Solche Vorstellungen in die Tat umzusetzen, war u.a. Aufgabe des türkischen DOM-Mitarbeiters Johannes Awetaranian und zwei weiterer ehemaliger Mullahs in Bulgarien. Da Awetaranian früher selbst islamischer Geistlicher gewesen war, kannte er den Islam von innen und konnte in seiner Missionsarbeit ganz auf das Denken der Muslime eingehen. Mit seiner literarischen Arbeit, vor allem durch seine Zeitschriften „Schahid ül Hakajiq“ (Monatsschrift) und „Günsch” bzw. „Churschid” (Wochenschriften) erreichte er weite Teile des Türkischen Reiches und verursachte damit z.T. heftige Reaktionen in der türkischen Presse. Bald konnte er eine kleine Schar von Konvertiten um sich sammeln.

 

Islamseminare für Christen

Schon in früheren Jahren hatte man in Berlin wissenschaftliche Islamkurse angeboten, z.T. sogar unter Mitwirkung eines muslimischen Theologen. Lepsius hielt die wissenschaftliche Durchdringung der Islam-Mission und die gründliche Ausbildung angehender Islam-Missionare für unverzichtbar:

„… ehe wir nicht aus dem Neuen Testament selbst eine neue Form der Darstellung entwickelt und in das Gewand der orientalischen Vorstellungswelt gekleidet haben, werden wir keine wesentlichen Fortschritte auf dem Gebiet der Muhammedanermission machen. Die Arbeit, die Paulus für die griechisch denkende Welt getan hat, muß für die mohammedanisch denkende Welt noch geleistet werden. Ich verstehe es, wenn man die Vorarbeit, die wir … in unserem mohammedanischen Seminar tun möchten, für überflüssig hält und geringschätzig beurteilt.
Es gibt immer noch Leute, die eine höchst mechanische Vorstellung von der Predigt des Evangeliums haben, und wenn von Missionsarbeit die Rede ist, von irgend welchem großen Apparat und von recht großen Zahlen hören wollen. Wieviele Missionare? Wieviele Getaufte? Wieviel Taufbewerber? Kaum hat man angefangen, an Mohammedanermission zu denken, werden einem solche Fragen an den Kopf geworfen.“ Leider musste die Arbeit des Seminars nach dem zweiten Semester mangels Nachfrage wieder geschlossen werden.

Die Arbeit der DOM entwickelte sich leider so, dass Lepsius inhaltlich nicht mehr dahinter stehen konnte, besonders als viele Mitarbeiter sein politisches Engagement für die Armenier ablehnten. Damit schied er aus seiner eigenen Missionsgesellschaft aus. Die DOM musste 1924 aus verschiedenen Gründen ihre Arbeit einstellen. Lepsius hatte inzwischen eine neue Missionsgesellschaft gegründet.

Die Frage nach der rechten Art der Kontextualisierung und die Notwendigkeit, den Islam gründlich aus missionarischer Sicht zu studieren, bleiben aktuelle Herausforderungen.

Andreas Baumann, Originaltitel: „Die Deutsche Orient-Mission: ein missiologisches Denk-Mal“, aus “Evangelikale Missiologie“ 18.Jg. 2002, 4.Q., , Seiten 122—133. Mit Erlaubnis des Autors stark gekürzt

 

Orientierung 2002-05; 15.02.2000…

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