Dass alle Menschen von Adam und Eva abstammen, darin sind sich Bibel und Koran einig. Was es aber konkret bedeutet, „Kind Adams“ zu sein, darüber gehen die Aussagen weit auseinander. Die folgende Darstellung ist nur eine recht grobe Skizze. Aus Platzgründen müssen wir hier darauf verzichten, die einzelnen Aussagen ausführlich zu erklären, zu begründen und zu belegen.

 

Im Islam

Im Islam erscheint die Sache auf den ersten Blick sehr einfach: Alle Menschen stammen von Adam bzw. von einem gemeinsamen Elternpaar ab (Sure 49,13; 4,1) und sind deshalb vor Gott gleich. „Kinder Adams“, arabisch „Banu Adam“, ist die Bezeichnung für alle Menschen.

Gott verpflichtete Adam und seine Kinder, sich ihm zu unterwerfen und ihm allein zu dienen (Sure 36,60-61; 51,56; 30,30). Diese Urreligion (Sure 42,13) ist, nach islamischer Sicht, natürlich der Islam. Der Mensch ist also als Muslim erschaffen worden; auch jedes Kind wird eigentlich als Muslim geboren und erst durch seine Umgebung zu einem Anhänger einer der verfälschten Religionsformen gemacht.

Wie Adam sind auch seine Nachkommen eingesetzt, als Stellvertreter (Khalifa) Allahs über die Erde zu herrschen (Sure 2,30).

Das Urteil über den von Gott erschaffenen Menschen kann im Koran recht unterschiedlich lauten: „Wir haben den Menschen in bester Form erschaffen.“ (Sure 95,4) Daneben finden sich aber auch viele negative Aussagen: „Der Mensch wurde schwach erschaffen.“ (Sure 4,28)

„Der Mensch wurde ungeduldig (oder: kleinmütig) erschaffen.“ (Sure 70,19) Er ist ungerecht und undankbar (Sure 14,34), voreilig (Sure 17,11), geizig (Sure 17,100), ungehorsam (Sure 80,23), frevelhaft (Sure 96,6) und stürzt sich selbst ins Verderben (Sure 103,2).

Der Koran spricht in verschiedenen Varianten über Adams Sünde. Sie war jedoch, wie alle Sünden, eine Einzeltat, ein Fehltritt (Sure 2,36). Adams Sünde hat keine Auswirkungen auf seine Nachkommen. Alle Menschen befinden sich in derselben Stellung vor Gott wie die Stammeltern bei ihrer Erschaffung; trotz ihrer Schwäche haben sie die Fähigkeit, ihre von Gott gewollte Bestimmung zu erfüllen. Dazu brauchen sie nur die richtige, göttliche Anleitung. Der Mensch steht immer zwischen der Gefährdung durch die Versuchung Satans einerseits und dem gnädigen Angebot der göttlichen Leitung andererseits (vgl. Bouman, Gott und Mensch im Koran, S. 16).

Neben solchen Aussagen, die die Verantwortlichkeit des Menschen betonen, findet sich im Islam auch die Lehre der Prädestination (Vorherbestimmung). 

In der Bibel

In der Bibel finden wir zum einen ähnliche Aussagen über Adam und seine Nachkommen:

Alle Menschen stammen von einem ab (vgl. z. B. 1. Mose 5,1ff; Apg 17,26). – Die Menschen erhalten von Gott den Auftrag, über die Erde zu herrschen (1. Mose 1,28).  

Im Übrigen zeigt uns aber die Bibel ein völlig anderes Bild als der Koran. Die biblische Kernaussage über die Bestimmung des Menschen (die im Koran nirgends erwähnt wird) finden wir in 1. Mose 1,26: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen in unserm Bild, uns ähnlich!“ – Was damit gemeint ist, kann ich im Folgenden nur thesenartig skizzieren.

In der Bibel finden wir den Ausdruck „Bild (bzw. Ebenbild) Gottes“ wieder, wenn vom „zweiten Adam“, Jesus Christus, die Rede ist. In 2.Kor 4,4 spricht Paulus von der „Herrlichkeit des Christus, der Gottes Bild ist“ (ähnlich Kol 1,15 und Hebr 1,2+3). In Joh 14,9 sagt Jesus zu Philippus: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“                                                                                      

Dass in Jesus Christus Gott „sichtbar“ wird, kommt dadurch zustande, dass Jesus Christus die Liebe Gottes widerspiegelt. Er bezeugt: „der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er selbst tut“ (Joh 5,20). Von sich selber sagt er, die Welt solle erkennen, „dass ich den Vater liebe und so tue, wie mir der Vater geboten hat.“ (Joh 14,31)

In ähnlicher Weise sollte Adam als „Bild Gottes“ in einer persönlichen Beziehung zu Gott leben – Gottes Liebe widerspiegeln. Solche Liebe ist nur möglich auf der Basis von Freiheit, wenn jemand „Ja“, aber auch „Nein“ sagen kann. Dazu gab Gott Adam und Eva die Möglichkeit: „Und Gott, der HERR, gebot dem Menschen und sprach: Von jedem Baum des Gartens darfst du essen; aber vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen, davon darfst du nicht essen; denn an dem Tag, da du davon isst, musst du sterben!“ (1. Mose 2,16f)

 

Die biblische Sicht

Bei der Versuchung des Menschen geht es nicht (nur) um Fehltritt oder Ungehorsam. Es geht um die Frage, ob die Beziehung zu Gott zerstört wird oder bewahrt bleibt. Adam und Eva werden vor die Entscheidung gestellt, auf wessen Stimme sie hören wollen: auf die Stimme dessen, der ihnen das Leben geschenkt hat, der ihnen ein Paradies anvertraut hat, in dem sie leben und dessen Früchte sie genießen sollen, und eine ganze Erde, die sie regieren sollen – oder auf die Stimme eines unbekannten Wesens, das für die Menschen nichts getan hat, das zunächst „nur mal eine Frage“ stellt, das Verleumdungen ausspricht und unverbindlich einen „guten Rat“ gibt (1. Mose 3,1-5).

Hier wird deutlich, was die Bibel unter „Sünde“ versteht – und was Sünde in ihrem abgrundtiefen, unfassbaren Wesen ist. Von der verbotenen Frucht zu essen, bedeutete:

– der Schlange recht zu geben mit ihren Behauptungen: „Gott sagt nicht die Wahrheit; Er enthält euch das Beste vor!“ Behauptungen, die eine Beleidigung Gottes sind!

– die Beziehung zu Gott für nichts zu achten und sie um eines vermeintlichen Vorteils willen zu zerstören;

– den zu missachten, der der Schöpfer und die Grundlage des Lebens ist!

 

Offene Türen für die Sünde

apple-treeMit ihrer Entscheidung öffneten Adam und Eva einer fremden Macht die Tür, zunächst in ihre eigenen Herzen. Eine vertrauensvolle, unbefangene Beziehung zu Gott war nun nicht mehr möglich. Die „Freiheit“ (Loslösung) von Gott führte nicht in die erhoffte Freiheit, sondern zu Scham und Furcht (1. Mose 3,7). So konnten sie auch ihren Nachkommen nicht Vertrauen und Liebe zu Gott weitergeben.

Mit ihrer Entscheidung öffneten Adam und Eva die Tür für die Lüge (über Gott und überhaupt), für die Beleidigung Gottes und den Zweifel an Seiner Güte, für die fortgesetzte Manipulation durch Satan, für die Macht der Sünde … Diese eine Tat ist nicht mehr rückgängig zu machen; sie veränderte alles … und wir müssen als Kinder Adams bis heute alle damit leben.

In den nächsten Kapiteln der Bibel wird erzählt, wie sehr die Sünde ihre zerstörerische Macht entfaltet, so dass Gott schließlich die ganze Menschheit vernichten möchte (1. Mose 6,5 – 7). Auch das Neue Testament spricht davon, „wie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod und so der Tod zu allen Menschen durchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben“ (Röm 5,12).

Zur Umkehr

Die Bibel bezeugt aber auch, dass Gott seine ursprüngliche Absicht, mit dem Menschen Gemeinschaft zu haben, nicht aufgibt. Dazu ist auf Seiten Gottes die Bereitschaft zu Vergebung und Versöhnung nötig, und auf Seiten des Menschen die Bereitschaft zur Umkehr. Als wichtigsten Inhalt seiner Verkündigung nennt der Apostel Paulus, „dass Gott in Christus war und die Welt mit sich selbst versöhnte, ihnen ihre Übertretungen nicht zurechnete und in uns das Wort von der Versöhnung gelegt hat.“ (2. Kor 5,19; vgl. Röm 5,8-10 und Kol 1,21f) Auf dieser Basis forderten die Apostel überall Menschen zur Umkehr und zum Glauben an Jesus Christus auf (vgl. Apg 2,38; 17,30; 20,21). Das Ziel ist: „damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus“ (1. Joh 1,3). Indem erlösungsbedürftige „Kinder Adams“ Jesus Christus in ihr Leben aufnehmen, erhalten sie „das Recht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1,12).

 

Und im „christlichen Abendland“?

Im „christlichen Abendland“ finden wir allerdings statt dieser biblischen Sicht vielfach eher ein quasi-islamisches Verständnis der Situation von uns Menschen:

– Unter Sünde(-n) verstehen viele nur einzelne Taten und nicht den Zustand der zerbrochenen Gottesbeziehung und der Anfälligkeit für alle möglichen Arten von Bösem.

– Viele leben in der Illusion, Gott müsse doch mit einer einigermaßen anständigen Lebensführung unsererseits zufrieden sein; eine „persönliche Beziehung zu Gott“ erscheint undenkbar – und wird von vielen auch gar nicht gewollt.

– Vielfach ist deshalb auch keine Sicht für die Notwendigkeit einer Versöhnung mit Gott vorhanden, und dementsprechend auch kein Interesse daran.

Die biblische Botschaft von Sünde und Versöhnung sind wir deshalb nicht nur Muslimen schuldig, sondern allen “Kindern Adams”, d. h. auch vielen unserer „christlichen“ Mitbürger.

 

Fazit:

  • Koran und Bibel stimmen darin überein, dass alle Menschen von Natur aus „Kinder Adams“ sind.
  • Nach biblischem Zeugnis bedeutet das aber nicht, dass wir als „Kinder Adams“ noch in unserem schöpfungsgemäßen Zustand leben und trotz aller Schwachheit fähig sind, entsprechend dem Willen Gottes zu handeln.
  • Wir leben von Natur aus alle nicht in einer ungetrübten Gemeinschaft mit Gott, zu der uns Gott als unser Schöpfer eigentlich bestimmt hatte. Alle Versuche, Gottes Gebote und Vorschriften einzuhalten, können die zerbrochene Beziehung zu Ihm nicht heilen.
  • Gott hat uns, als wir noch Feinde waren, mit sich selber versöhnt durch den Tod seines Sohnes (vgl. Röm 5,10); er rechnet uns unsere Übertretungen nicht zu (2. Kor 5,19), sondern schenkt uns Vergebung, wenn wir zu Ihm umkehren und sein Angebot der Gnade in Jesus Christus annehmen (vgl. Röm 3,23f).
  • Dabei geht es nicht darum, eine Theorie für wahr zu halten. Alle Menschen werden eingeladen, Gott auf Sein Angebot mit Vertrauen im Gebet zu antworten. Dadurch kommt eine neue Schöpfung zustande: „Daher, wenn jemand in Christus ist, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2. Kor 5,17) So werden „Kinder Adams“ zu „Kindern Gottes“.
  • Wer mit Gott versöhnt ist, wird nun selber zu einem „Gesandten an Christi Statt“, durch den Gott auch andere ermahnt und einlädt; „wir bitten für Christus: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2. Kor 5,20)

aus Orientierung: M #spezial 2 2019