Abrahams Glauben ins Gespräch kommen

„Ihr Leute der Schrift! Warum streitet ihr über Abraham…?“ Mit diesen Worten wendet sich der Koran in Sure 3,65 an Juden und Christen. In der Tat könnte man auch über Abraham herrlich mit Muslimen streiten. Schon die Vereinnahmung Abrahams als Begründer des Kaaba-Kults in Mekka, wodurch er gewissermaßen zum Stammvater des Islam umdeklariert wird, ist für Christen eine kaum hinnehmbare Zumutung.  Da muss man doch die Dinge richtig stellen, bevor man überhaupt weiter redet, oder nicht?

Auf dieser Ebene geführte Gespräche sind aber gewöhnlich schnell zu Ende. Ein türkischer Christ redete mit dem Imam einer Moschee in Berlin Neukölln. Dabei erklärte er, dass Abraham sich niemals in Arabien oder in Mekka aufgehalten habe. Schnell beendete der Imam das Gespräch: „Damit schneidest du uns Muslimen die Wurzeln ab! Es ist besser, wenn wir das nicht fortsetzen.“

 

Mohammed und Abraham

Fest steht, dass Abraham eine ungeheure Faszination auf Mohammed, den Begründer des Islam, ausübte. Das lässt sich anhand vieler Indizien innerhalb des Koran und anderer islamischer Quellen nachweisen. Auch dass Mohammed seinen einzigen, allerdings schon im Kindesalter verstorbenen Sohn Ibrahim nannte, hat sicher damit zu tun.

Mohammed identifizierte sich mehr mit Abraham als mit jeder anderen Gestalt der biblischen Heilsgeschichte. Für ihn war Abraham jemand, der unter Götzenanbetern aufwuchs, dann aber zur Erkenntnis und zur Anbetung des einen Schöpfergottes gelangte, deshalb Widerstand in der eigenen Familie erlebte und schließlich seine Heimat verließ und auswanderte. Er betrachtete Abraham als Prototypen eines Gläubigen, der dem reinen, unverfälschten Eingottglauben folgte (arab. Hanif) und aufgrund dieser Religion (arab. millat) bei Gott Anerkennung und Annahme fand. Vieles davon hatte Mohammed selbst erlebt. Es ist deshalb nur folgerichtig, dass Mohammed Abraham als leuchtendes Vorbild vorstellte. Jeder Muslim kennt heute Abraham und einige Ereignisse seines Lebens.

Diesen Beitrag schreibe ich als Christ für christliche Leser. Kann man als Christ mit dem Abraham des Koran überhaupt etwas anfangen? Gibt es Anknüpfungspunkte, die im Gespräch mit Muslimen fruchtbar gemacht werden können?

 

Abraham – Vater einer Menge

Vielleicht kann man im Gespräch mit Muslimen mit Abrahams Namen beginnen. Was bedeutet dieser Name? Die erste Silbe ‚Ab‘ steht in semitischen Sprachen und daher auch im Hebräischen und Arabischen (Abu) für Vater. Gott, der ihm unzählbar viele Nachkommen verheißen hat, gibt ihm den Namen ‚Vater einer Menge‘. Daraus ergibt sich fast automatisch die nächste Frage: Wen meint Gott mit diesen Nachkommen Abrahams? Sind die Juden die Kinder Abrahams, weil Abraham über die Linie Isaak, Jakob und seine zwölf Söhne ihr Stammvater ist? Sind es die Araber, von denen einzelne Stämme ihre Herkunft über Ismael und Joktan auf Abraham zurückführen? Oder geht es hier gar nicht um Abstammung und Volkszugehörigkeit, sondern um etwas anderes?

Was der im Islam als Prophet ‚Yahya‘ bekannte Johannes der Täufer hierzu im Evangelium (Indjil) sagt, hat weitreichende Bedeutung. Als die besonders gesetzestreuen Pharisäer zu ihm kommen, sagt Johannes ihnen, dass sie sich zu Unrecht auf ihre Abstammung von Abraham verlassen:

„…meint nicht, bei euch selbst zu sagen: Wir haben Abraham zum Vater! Denn ich sage euch, dass Gott dem Abraham aus diesen Steinen Kinder zu erwecken vermag. Schon ist aber die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum nun, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.“ (Matthäus 3,9-10)

Es geht also nicht um genealogische Abstammung, denn diese Pharisäer konnten ohne Weiteres ihren Stammbaum bis auf Abraham zurückverfolgen. Ihr Problem war etwas anderes: Sie hatten einen im Wesen völlig anderen Glauben als Abraham, deshalb waren sie keine echten Kinder Abrahams. Der Glaube Abrahams trug nämlich gute Früchte, die Religion der Pharisäer trug dagegen schlechte Früchte: Überheblichkeit, Unduldsamkeit gegenüber anderen, Heuchelei, innere Unreinheit usw.

 

Das Besondere am Glauben Abrahams

Um das Besondere am Glauben Abrahams zu entdecken und um alle anderen Arten von Glauben davon zu unterscheiden, muss man sehr genau hinsehen. Hier nun einige Beobachtungen, die man auch zusammen mit Muslimen machen kann. Das geschieht am besten, wenn man gemeinsam die Bibel aufschlägt oder wenn man während gemeinsamer Zeiten die Abrahamsgeschichten erzählt:

Offenbar stimmte die Art und Weise, wie Abraham glaubte, so sehr mit Gottes Ideal einer Beziehung zwischen sich und dem Menschen überein, dass er Abraham seinen persönlichen Freund nennt (Bibel: Jes. 41,8; Jak. 2,23; Koran: Sure 2,125). Abgesehen von Abraham wird keine andere Person in Bibel oder Koran von Gott mit diesem Titel „mein Freund“ geehrt!

Gott hat auch noch auf andere Weise gezeigt, dass er den Glauben von Abraham anerkannte:

Sowohl die Bibel als auch islamische Quellen bestätigen, dass Abraham sich jetzt im Himmel bei Gott befindet. Das bedeutet aber auch, dass Gott zuvor die Sünden von Abraham vergeben und ihn gerecht gemacht hat. Der Glaube Abrahams war also ein lebendiger Glaube, den Gott mit dem Gnadengeschenk der Rettung beantwortete. Die Bibel bringt das mit diesem kurzen Satz auf den Punkt:

„Und er glaubte dem Herrn; und er rechnete es ihm als Gerechtigkeit an.“ (1. Mose 15,6)

Aber wie konnte Abraham in dieser Gott wohlgefälligen Weise glauben, obwohl es damals noch kein Gottesgesetz, weder “Thora” (Altes Testament) noch  ‚Scharia‘ gab? Und was bedeutet es, dass Gott Abraham seinen Glauben schon als Gerechtigkeit anrechnete, als er noch nicht beschnitten war? Welche Grundlage hatte der Glaube Abrahams, wenn er sich weder auf ein Gesetz noch auf Gebote und Verbote stützen konnte?

Der entscheidende Punkt ist, dass Abraham nicht etwas glaubte, sondern jemandem glaubte! Abrahams Glaube bestand nicht im Festhalten an der richtigen Lehre über Gott, sondern im Sich-Festhalten an Gott selbst. Abraham nahm Gott beim Wort. Obwohl die sichtbare Realität das Gegenteil zu beweisen schien, glaubte Abraham Gott, als er ihm Nachkommenschaft versprach. Abrahams Frau Sarah war unfruchtbar und beide waren schon viel zu alt, um noch Kinder haben zu können. Und dann gebar Sarah mit 90 Jahren doch noch einen Sohn – so wie Gott das angekündigt hatte.

Den Höhepunkt bildet die Geschichte, als Gott den Glauben von Abraham prüft. Ausgerechnet diesen Sohn, den Gott versprochen und den ihm seine Frau mit 90 Jahren geboren hatte, den Abraham liebte wie sein Leben – den soll er nun schlachten und als Opfer darbringen. Aber die tiefe Ehrfurcht, die Abraham vor Gott hatte, sein Vertrauen in Gottes Weisheit und Möglichkeiten machten ihn fähig, selbst dieses Äußerste zu geben – auch wenn Gott ihn noch im letzten Moment stoppte.

Wir wünschen für Muslime nichts sehnlicher, als dass auch sie echte Kinder Abrahams werden und den Segen Abrahams empfangen. Vielleicht lassen sich manche darauf ein, das Leben Abrahams gemeinsam durchzugehen. Wenn zum Entdecken von Abrahams ganz andersartigen Glaubens dann noch unser persönliches Zeugnis hinzukommt, nämlich was wir erlebt haben, als wir so Gott vertrauten wie Abraham, kann das etwas auslösen. Wir können sie dann mit Jesus Christus, dem einen Nachkommen Abrahams bekanntmachen, von dem Paulus im Galaterbrief sagt, dass „der Segen Abrahams in Jesus Christus zu den Nationen kommt…“ (Gal. 3,14)

Dieser Artikel erschien in Orientierung: M #spezial, Ausgabe 20-2