Das Evangelium in Geschichten

In vielen Ländern werden Inhalte mit Geschichten vermittelt. Auch bei Jesus sehen wir das. Er lebte im Nahen Osten in einer Kultur, die der vieler Migranten in unserem Land  sehr ähnlich ist. Sie wachsen in einer Erzählkultur auf, in der Sachverhalte eher bildlich weiter gegeben werden.

Jesus veranschaulichte das Evangelium in Gleichnissen, mit Alltagsthemen und kulturellen Gepflogenheiten. Das hatte Vorteile: Durch die bildhafte Rede wahrte er ihre Ehre. Das ist ein wertvoller Ansatz in einer Schamkultur. Die Zuhörer werden durch die Erzählung nicht vor den Kopf gestoßen, sie können sich aber selbst in der Geschichte wiederfinden. Es ist ihnen überlassen, ob sie sich angesprochen fühlen wollen. Die Kunst des Erzählens dabei ist, persönlich zu werden ohne zu moralisieren.

Geschichten schaffen einen Zugang zur Theorie und in unserem Fall zur Theologie – zu der Geschichte Gottes mit uns Menschen. Gott selbst offenbart sich in der Geschichte, nie abstrakt! Das sehen wir an der Geschichte Israels im Alten Testament. Wir werden erfahren, dass wir mit diesem Ansatz viel häufiger die Möglichkeit haben werden, unseren Glauben in Worte zu fassen.

Es gibt auch keine Altersbegrenzung, ganze Familien können so erreicht werden. Außerdem macht Geschichtenerzählen Spaß! Und wir behalten sie um ein Vielfaches besser in Erinnerung, wenn wir uns darin wiederfinden und von ihr berührt werden.

 

 Geschichten bauen Vorbehalte ab

Fred* liebt es, das Evangelium in Geschichten weiter zu geben. Viele Jahre lebte er in einem asiatischen Land. Gerne gibt er uns von seinen Erfahrungen hier und in Asien weiter:

„Ich erlebe, dass Geschichten Aggressionen und Vorbehalte abbauen. Argumente würden den Widerstand nur noch weiter verstärken, während Geschichten häufig das Gegenteil bewirken.

Basar Ein Beispiel: Immer, wenn ich in Asien auf dem Basar einkaufen ging, nutzte ich die Begegnungen für Gespräche. Gerade erzählte ich einem Händler, der mit Drogerieartikel handelt, eine biblische Geschichte, als sich hinter mir eine Gruppe aggressiv gestimmter Männer aufbaute. Ein Traktat oder eine Bibel weiterzugeben wäre hier schlicht unmöglich gewesen (darauf kann in diesem Land Gefängnis stehen), aber eine Geschichte öffnete sein Herz. Er wandte sich zu der Gruppe und sagte: „Dieser Mann ist in Ordnung; er ist ein guter Kunde.“ Nahezu sofort löste sich die Spannung und die Männer verhielten sich mir zugewandt.

Es lohnt sich, mit Geschichten zu arbeiten. Sie geben mir die Möglichkeit, schnell zum Thema zu kommen. In unserem Kontext geben wir das Evangelium oft eher zögerlich weiter. Wir möchten erst eine Beziehung aufbauen. Im muslimischen Kontext ist es genau anders herum: Wenn du in der ersten halben Stunde nicht von deinem Glauben redest, ist er dir wohl nicht so wichtig.

In Deutschland besuche ich oft Moscheen. Dass ein Deutscher eine Moschee betritt, kommt nicht oft vor. Entsprechend verwirrt sind die Muslime manchmal. Sobald ich aber beginne, eine biblische Geschichte zu erzählen, wissen sie, woran sie bei mir sind. „Das ist aber ein geistlicher Mann“ stellen sie dann fest. Ich werde als gläubiger Christ mehr geschätzt als wenn ich Atheist wäre.

Geschichten habe ich immer dabei

Geschichten, die ich mir einpräge, habe ich ja immer „dabei“. Für die verschiedenen Lebensbereiche wie Familie, Arbeit und Freizeit suche ich biblische Geschichten und lerne sie mit meinen Worten gut verständlich zu formulieren. Das ist ein bisschen Arbeit, aber es macht viel Freude. So habe ich für verschiedene Lebenssituationen biblische Geschichten parat, die immer wieder gern gehört werden.

Geschichten multiplizieren sich

Geschichten erfahren Multiplikation. Sie lassen sich auf Anhieb merken. Das Zitieren von Bibelversen und reine Argumente dagegen weniger. Eine biblische Geschichte, die ich am Morgen Ali erzähle, wird er am Nachmittag mit seinen Freunden beim Teetrinken diskutieren und am Abend seiner Frau wiederholen.

Oft werde ich gefragt, ob ich Muslim sei. Darüber kommen wir ins Gespräch. Wenn es um das Thema Fasten geht, erzähle ich die Begebenheit von dem Pharisäer und Zöllner. Der korrupte Regierungsbeamte erfuhr Vergebung, weil er glaubte, dass Isa ihn durch Gnade und Glauben annahm. Es ging darum, ein reines Herz zu haben; nicht, Pflichten einzuhalten.

Biblische Ereignisse veranschaulichen Glaubensinhalte

Die Errettung aus Gnade ist ein Hauptpfeiler unseres Glaubens. In der Bibel gibt es viele Ereignisse, die anschaulich schildern, was sie bedeutet:

Muslime kennen die Geschichte vom Auszug Israels aus Ägypten. Mose befahl, ein Lamm zu schlachten und das Blut an die Pfosten der Türe zu streichen. Als der Gerichtsengel vorbeiging, verschonte er die Familien, deren Eingangstüren mit Blut bestrichen waren. Gott hat ein Opfer zu unserer Errettung vorgesehen – Jesus Christus. Das hat er festgelegt, nicht wir.

Ich genieße die Gastfreundschaft der Orientalen. Abraham übte auch Gastfreundschaft und kam so zu der Gelegenheit, Engel zu bewirten. Ich erzähle, wie er Gott sein vollstes Vertrauen schenkte und dadurch Rechtfertigung erfuhr. Er hatte eine tiefe und echte Beziehung zu Gott. Er redete mit Gott wie mit einem Familienmitglied.

Orientalen sind Beziehungsmenschen. Sie sehnen sich nach einer Verbindung mit Gott. Ihr ganzes Leben ist im Miteinander aufgebaut und strukturiert. Da liegt es nahe, sie nach einer persönlichen Beziehung mit Gott zu fragen.“

Geschichten haben viele Vorteile

Ja, die Vorteile sind tatsächlich groß. Mich begeistern sie wie Fred. Jeder hört gern Geschichten und zieht sie abstrakten Konzepten vor. Die westeuropäische Kultur denkt in Daten und Fakten. Oft fällt uns schwer, nur mit Geschichten zu arbeiten und dabei ohne Argumente auszukommen. Aber auch bei uns werden Geschichten zunehmend verwandt, z.B. das sogenannte „Storytelling“ in der Werbung, um das Interesse von Kunden zu gewinnen.

Mit Storytelling kann ich Werte und Wissen vermitteln. Weil ich Erfahrungen und Empfindungen mit einfließen lasse, erreiche einen anderen Zugang zu den Zuhörern. In einer Geschichte kann ich einen neuen Standpunkt einnehmen. Sie hilft mir, mich auf verschiedene Sichtweisen einzulassen und diese zu verstehen. Außerdem bin ich für „verpackte“ Wahrheiten offener, da ich nicht in die Defensive getrieben werde.

Auch komplexe Informationen können so vereinfacht und mit Beispielen veranschaulicht werden. Wichtige Aussagen bleiben besser in Erinnerung, weil eine Geschichte sich besser einprägt. Sie kann unsere Wahrnehmung formen. In Bezug auf das Evangelium wünschen wir uns, dass die Beteiligten zur Umsetzung motiviert werden.

Wenn wir Migranten, die aus einer Erzählkultur stammen, auf diese Weise das Evangelium bringen, haben sie es wahrscheinlich leichter, biblische Wahrheiten zu verstehen und anzunehmen. Für uns selbst wird es eine Bereicherung sein, wenn wir uns bekannte Theologie in Geschichten formulieren.

Das Thema „Das Evangelium in Geschichten vermitteln“ ist Fred ein Herzensanliegen. Weitere Anregungen finden Sie auf der Homepage fivefingerfood.org. Auf Anfrage kommt er gern für ein Seminar in Ihre Gemeinde. Bitte wenden Sie sich an uns oder per Mail an: fivefingerfood@gmail.com

*Name geändert

Dieser Artikel erschien in Orientierung: M #magazin, Ausgabe 3/2019 und darf unter Angabe der Quelle kopiert werden.