Schreibe es auf

Elif*, eine Frau aus der Süd-Ost-Türkei, die seit vielen Jahren Jesus Christus nachfolgt, erzählte uns über eine Sprachnachricht, wie sie das Erdbeben erlebt hat und wie die aktuelle Situation ist. Stark gekürzt geben wir hier ihren Bericht wieder.

Guten Tag, meine lieben Geschwister. Jemand sagte mir: „Du musst alles aufschreiben, was du jetzt erlebst, damit keine Schwere und Bitterkeit in deinem Herzen wächst.“ Aber wie kann ich das tun? Dazu bin ich nicht in der Lage, habe auch keine Zeit. Aber jetzt, wo Ihr danach fragt, habe ich alles liegen gelassen und werde versuchen alles zu erzählen. Das ist es, was der Herr von mir will.
Wie soll ich alles erzählen? Ich weiß es nicht. Ich denke, ich kann es nicht. Es ist so eine furchtbare Sache – furchtbar ist noch zu milde ausgedrückt, es braucht einen anderen Namen, ja definitiv einen anderen Namen.

Es hörte nicht auf!

Als das Erdbeben geschah, schliefen wir tief und fest. Mein Mann und ich wachten auf, schauten uns an, vielleicht haben wir einige Momente nicht gewusst, was passierte. Da war ein Gedröhne, Geräusche von Steinen und Felsen, die aneinanderschlagen, sehr laut. In wenigen Momenten realisierten wir, dass es ein Erdbeben war. Wir umarmten uns und fingen an zu beten: „Herr sei uns gnädig, bitte sei allen Menschen gnädig, sei uns gnädig und errette uns!“ Diese Worte haben wir immer wieder wiederholt.

Wahrscheinlich wussten wir gar nicht, wie wir beten sollten. Es hörte nicht auf! Das Beben dauerte eine Minute und 50 Sekunden, mir erschien es wie fünf Minuten. Es schwankte ständig, wir schauten zur Decke und dachten in diesem Moment das Gleiche: Wann stürzt die Decke ein? Wann bricht die Mauer zusammen? Es bebte so gefährlich! Weglaufen war unmöglich, wir konnten nicht rausgehen. Du wirst hin und her bewegt und bist gefangen. Sowohl von unten bebt es, von oben, du wirst zur Seite geworfen, schrecklich.

Eben hatte ich gesagt, ich kann es nicht erzählen, das meinte ich! Dann hörte das Beben auf, der Strom war weg, wir konnten alles sehen, der Schlafzimmerschrank war umgefallen. In der Küche lag alles auf dem Boden, überall Scherben. Mein Mann fand die Tasche für das Auto, wir zogen uns Mäntel an und gingen nach unten. In diesem Moment hörten wir Schreie. Wir öffneten die Tür und konnten es nicht glauben: Es waren sechs Häuser und fünf waren eingestürzt! Wir hatten einen Schock. Unglaublich, alle diese Menschen kenne ich. Meine Nachbarin war unter den Trümmern, die Tochter konnte herauskommen. Von überall her kamen Hilferufe.

Sobald ich die Tür geöffnet hatte, fiel meine Nachbarin, die ganz oben wohnte, herein: „Nachbarin, Nachbarin, meinem Mann sind Steine auf den Kopf gefallen, er ist gestorben, er ist vor meinen Augen gestorben. Hilf mir, gib mir Kleidung,  gib mir Schuhe!“ Ich wusste nicht, was ich tun sollte. In diesem Moment wollte ich sie trösten, aber ich hatte einen Schock. Es regnete stark und sie war total nass. Ich konnte den Schock nicht loswerden, keiner wusste was zu tun war. Alle waren total nass und kalt.

Die Gemeinde hat zwei Autos und wir haben eins. Da setzten wir die Nachbarn hinein und gaben ihnen Wolldecken. Was wir hatten, haben wir ihnen gegeben. Es war furchtbar kalt. Abdullah und ich saßen vorne und teilten uns eine Wolldecke. So ging es einige Tage, dann kamen die Geschwister, der Herr möge sie segnen! Sie brachten uns Wolldecken, Essen und Wasser. Drei Tage lang kam von staatlicher Seite keine Hilfe zu uns.

Wir hatten ungefähr 400 Nachbarn, davon sind etwa 350 gestorben. Nur 50 überlebten. Diese Menschen habe ich gekannt, die Kinder einiger Familien kamen in die Gemeinde, die Mütter kamen auch zu uns. Wir haben zusammen Kaffee und Tee getrunken, sie kamen zu Frauenversammlungen. Alle diese Menschen haben wir verloren.

Ein Haus des Dienens in Antakya

Wir sind 1998 nach Antakya gekommen. Ein Jahr später gebrauchte uns der Herr, um die Gemeinde zu gründen. Zuerst hatten wir kein Haus, nicht mal eine Mietwohnung. Wir mussten damals einige Schwierigkeiten auf uns nehmen, um des Herrn Willen. Das ist eine lange Geschichte. Damals wussten wir noch nicht, dass es die Hand des Herrn war. Aber dass er uns in Antakya gebrauchen wollte, haben wir später verstanden.

Jahrelang haben wir Kinderstunden gemacht, bis zu 50 Kinder aus unserer Nachbarschaft kamen in die Gemeinde. Viele von ihnen sind zum Glauben gekommen, haben Lieder gesungen, Gitarre gespielt, sie haben das Incil und viele Psalmverse abgeschrieben, sie haben es mit der Hand geschrieben. Fünf Jahre haben wir uns um sie bemüht und wenn ich jetzt zurückschaue: es ist keins mehr da! Einige von ihnen sind gestorben, die anderen sind weggegangen. Jetzt ist kein Leben mehr in Antakya. Wenn du auf die Straße schaust, da sind Helfer, Soldaten und Arbeiter, sonst sind keine Menschen mehr da … Nur wenn du in die Dörfer gehst, oder in die Stadtteile auf den Bergen, dort sind Menschen.

Unser Haus war seit vielen Jahren ein Haus des Dienens. Fünf Jahre hatten wir in diesem Haus Flüchtlingen gedient. Danach kam Covid und dann das Erdbeben. Zwei Wochen dienten wir dort in dieser Situation. Aber nachdem drei weitere schwere Beben passierten, stürzte ein großer Teil des Hauses zusammen und es wurde zu gefährlich.

Spezial 23-1Wir verlegten unsere Hilfe in ein Gebäude, das noch im Bau ist, das wir vor fünf Monaten begonnen hatten zu bauen. Es wurden Zelte geliefert und im Garten abgeladen, von dort aus in die Dörfer transportiert. Ich weiß nicht, wie viele Zelte wir aufgebaut haben. 200, 300, vielleicht mehr. Dann gaben wir den Menschen auch Lebensmittel. Alles, was Ihr euch vorstellen könnt. Ja, so ist es, obwohl inzwischen ein Monat vergangen ist, hat sich noch nichts geändert. Nur die Menschen sind gegangen. Immer mehr Menschen gehen weg. Aber die, die keinen Ausweg sahen, die gleich gegangen sind, fangen an, wieder zurückzukommen.

Unsere Hoffnung ist groß!

Was sollen sie tun, diese Leute? Wir müssen den Menschen einen Raum zum Leben und Essen geben. Ab da wurde die Gemeinde der Christus Gläubigen in Antakya bekannt und immer mehr Menschen kamen zu uns. Jetzt schreiben wir die Bedürfnisse der Leute auf, packen alles in Pakete und besuchen sie zu Hause. Wir werden mit ihnen zusammen sitzen, vielleicht uns etwas unterhalten und mit ihnen einen Kaffee trinken. Wir haben entschieden, jetzt so zu verteilen und schreiben alles auf. Aber obwohl wir in dieser negativen Lage sind, ist unsere Hoffnung sehr groß!

Jeder wollte uns von hier wegbringen. Jeder sagt: „Geht von da weg, ihr seid Rentner! Was habt ihr hier noch zu suchen? Euer Haus ist auch eingestürzt. Es werden noch mehr Erdbeben passieren!“ Und das ist ja auch passiert. Aber wir sagen: „Nein, der Herr hat vor fünf Monaten hier einen Bau begonnen.“ Am Ort unserer Kirche hat der Dienst begonnen, aber dieser Dienst kann dort nicht weitergehen, weil der Bau fertiggestellt werden muss.

Damals, im Jahr 2000, hatten wir Räume gemietet und seit dieser Zeit bis jetzt haben wir darum gebetet, dass wir ein eigenes Haus bekommen. Und nach 22 Jahren hat Gott für uns ein Wunder getan, einen Platz gegeben, 500 m² groß. Vor fünf Monaten begann dort der Bau eines Gemeindehauses. Wir glauben, dass der Herr uns das gegeben hat. Und unsere Hoffnung ist groß. Daran möchten wir Anteil haben. In dieser großartigen Arbeit des Herrn wollen wir dabei sein. Darum sind wir nicht gegangen.

Eine ganze Reihe Geschwister sind gekommen, um uns zu helfen. Sie umarmen uns, sie weinen mit uns, sie trauern mit uns. Das kommt vom Herrn. In ihnen sehen wir das Herz des Herrn. Und bitte, denkt in euren Gebeten an uns. Das ist meine Bitte. Vielen Dank, meine Geschwister. Unser Herr möge euch sehr reichlich segnen. Bis zum Wiedersehen.
                                                                                                                                            *Name geändert
aus Orientierung: M #spezial 1-2023