Nach islamischer Auffassung hat Gott als Schöpfer und Herr der Welt den Islam, wie Mohammed ihn gelehrt und praktiziert hat, als die eine, wahre und unverfälschte Religion anerkannt (Sure 3,19; 5,3). Der Islam ist die ursprüngliche, schöpfungsgemäße Religion der ganzen Menschheit (Sure 30,30). Folglich soll der Islam über den Bereich der ganzen Welt ausgebreitet werden.

Das Grundmodell

Die traditionelle islamische Lehre teilt daher die Bevölkerung der Erde in zwei große Blöcke auf: einerseits das „Haus des Islam“ (dar al-islam), in dem die koranische Offenbarung anerkannt und das islamische Recht praktiziert wird, und andererseits das „Haus des Krieges“ (dar al-harb), in dem die islamische Ordnung erst aufgerichtet werden muss. Dies soll geschehen – und geschah auch in der Anfangszeit der islamischen Ausbreitung – durch „Dschihad“, Anstrengung auf dem Weg Allahs, in der Regel gleichbedeutend mit militärischer Eroberung (vgl. dazu Sure 9,29). Das bedeutet nicht, dass alle Bewohner der eroberten Gebiete gezwungen wurden, Muslime zu werden. Juden und Christen konnten ihre Religion beibehalten und sie im Rahmen der islamischen Ordnung auch in einem gewissen Maß praktizieren. Außerdem gab es auch noch das „Haus des Vertrages“ oder „Haus des Bundes” (dar al-`ahd), Gebiete, mit denen die islamische Umma zeitlich befristete Verträge abgeschlossen hatte. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass nach der Sicht des traditionellen islamischen Rechts das „Haus des Islam“ und die übrige Welt einander grundsätzlich feindlich gegenüberstanden und die Scharia eigentlich nur ein „einseitiges Kriegsvölkerrecht (mit Regeln für die »Kampfpausen«)” kannte (Erwin Gräf und Hilmar Krüger, Artikel „Völkerrecht“ in: Lexikon der islamischen Welt, Stuttgart Berlin Köln 1992, S. 276f). „Im klassischen Islam gibt es also nur islamische Normen für das Verhältnis des islamischen Staates zu nichtislamischen Individuen und Staaten mit dem Ziel ihrer Unterwerfung und ihrer An- bzw. Eingliederung in die umma.“ (a.a.O., S. 276)

Geschichtliche Entwicklungen

Im Verlauf der Geschichte wurde eine Reihe von Verträgen zwischen der islamischen Gemeinschaft als ganzer oder einzelnen Teilgebieten mit nicht-islamischen Staaten geschlossen, die nicht nur als zeitlich befristete Waffenstillstandsregelungen zu verstehen sind. Andererseits gab es schon lange vor der Abschaffung des osmanischen Kalifats durch Atatürk im Jahre 1924 kein einheitliches „dar al-islam“ mehr.

Lebendigkeit der traditionellen Vorstellungen

Der alte Gedanke, dass die Völkerwelt in „dar al-islam” und „dar al-harb“ zerspalten sei, ist jedoch bei vielen Muslimen weiterhin erstaunlich lebendig. Der Konflikt zwischen Serben und Albanern im Kosovo z. B. wurde von vielen nicht als ethnischer Konflikt sondern als „christlicher” Angriff gegen „den Islam“ angesehen. Die Politik nicht-islamischer Staaten wird schnell verdächtigt, in ihrer Zielsetzung islam-feindlich zu sein und den Muslimen Schaden zufügen zu wollen. Besonders im Islamismus sind solche Vorstellungen und der Gedanke der Ausbreitung des Islam mit militärischen Mittel weiterhin vorhanden. Das Konzept des „Dschihad” als bewaffnetem Kampf für die Verteidigung oder Ausbreitung des Islam ist immer wieder „abrufbar“ und emotional stark motivierend. Der „Dschihad” islamistischer Gruppierungen richtet sich allerdings auch – und oft sogar vorrangig – gegen die Regierungen islamischer Staaten, deren Politik in den Augen der Islamisten „unislamisch“ ist und bekämpft werden muss.

Humanistische Interpretationen

Andererseits finden wir bei modernen Muslimen eine humanistischer geprägte Interpretation und Einstellung gegenüber dem „dar al-harb“: Die Ausbreitung des Islam soll gewaltfrei geschehen durch Information über den Islam, die Darstellung seiner Einfachheit und Überlegenheit und durch das vorbildliche Leben von Muslimen; Krieg ist entsprechend solcher humanistischer Auffassung nach dem Koran nur gerechtfertigt als Verteidigungskrieg, um das Leben der Muslime aber auch die Ehre des Islam zu schützen; der Normalzustand im Zusammenleben der islamischen Welt mit nichtislamischen Staaten ist der Friede, nicht nur ein Waffenstillstand und schon gar nicht der Krieg. Sicherlich meinen viele Muslime – gerade auch solche, die in Europa aufgewachsen und stark von humanistischem Gedankengut beeinflusst worden sind – das auch so. Einige sehen jedoch solch eine „friedfertige“ Interpretation möglicherweise nur für eine Übergangszeit als gültig an, bis etwa die islamische Welt wieder zu ihrer Einheit zurückgefunden hat oder der Islam in einzelnen Gegenden so erstarkt ist, dass er es sich leisten kann, Gewalt und Druck anzuwenden.

Lebensmöglichkeiten für Muslime im „dar al-harb“

Muslime können grundsätzlich in einem Land leben, das zum „dar al-harb“ gehört, solange ihnen die freie Ausübung ihrer Religion ermöglicht wird, d. h. sie zu nichts gezwungen werden, was ihnen verboten ist, und sie das tun können, zu was sie verpflichtet sind. Viele sind sich bewusst, dass sie dort in besonderer Weise in Gefahr stehen, ihren Glauben zu verlieren oder den Islam nur relativ oberflächlich zu praktizieren. Vielleicht sind auch aus diesem Grund viele Muslime in der Diaspora in stärkerem Maß vorsichtig oder ablehnend gegenüber missionarischen Bemühungen als in islamischen Ländern. Wenn ein Leben nach den Regeln des Islam in einem Land nicht möglich ist, sollte ein Muslim – nach dem Vorbild Mohammeds – in ein Land auswandern, in dem er den Islam frei und ungehindert praktizieren kann.

 

Orientierung 2000-01; 15.02.2000

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