Es ist unmöglich, in einem „Minikurs“ das Thema „Kinder im Islam“ zu umreißen. Dazu ist es viel zu komplex, und dazu sind die Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern, sozialen Gruppen und geschichtlichen Epochen zu groß. Deshalb beschränken wir uns hier auf einige Aussagen des Koran zu diesem Thema (Koran-Zitate hier nach der Übersetzung von Rudi Paret).

Gegen die im Heidentum praktizierte Tötung von Kindern

Eine Reihe von Koranversen wendet sich vehement gegen die im vorislamischen Heidentum (altarabischen Polytheismus) praktizierte Tötung von Kindern. Der unmittelbare Anlass für diese Praxis war wohl die Furcht, nicht alle Kinder, die geboren wurden, ausreichend ernähren zu können oder wegen der großen Zahl der Kinder zu verarmen. Dagegen sagt Sure 17,31: „Und tötet nicht eure Kinder aus Furcht vor Verarmung! Wir (d. h. Gott) bescheren ihnen und euch (den Lebensunterhalt). Sie zu töten ist eine schwere Verfehlung.“ (ähnlich Sure 6,151, ebenfalls mit dem Hinwies auf die Fürsorge Gottes) Als Hintergrund für die Praxis der Kindertötung wird in Sure 6,137 angedeutet, dass die Götzen selber ihre Verehrer zu einem solchen verwerflichen Tun verführten; sie haben es ihnen „im schönsten Licht erscheinen lassen, dass sie ihre Kinder töten. Sie wollten sie damit ins Verderben stürzen und ihnen ihre Religion verdunkeln.“ Wenn zur Zeit Mohammeds Frauen den Islam annehmen wollten, mussten sie neben der Zusicherung, Allah keine anderen Götter zur Seite zu stellen, sich und andere ebenso verpflichten, keine Kinder zu töten (Sure 60,12) – was allerdings auch generell für alle Muslime gilt (Sure 6,151).

Kinder als Geschenk und Gefährdung

Gott selbst bestimmt, ob einem Ehepaar Kinder geboren werden und welches Geschlecht sie haben sollen: „Gott hat die Herrschaft über Himmel und Erde. Er schafft, was er will, indem er nach Belieben dem einen weibliche und dem andern männliche (Nachkommen) schenkt, oder sie zu Paaren macht (so dass ein und derselbe) männliche und weibliche (Kinder bekommt), oder (w. und) nach Belieben jemand unfruchtbar macht (so dass er überhaupt keine Kinder bekommt). Er weiß und kann (alles).“ (Sure 42,49+50) Sehr oft (z. B. Sure 3,10.116; 8,28; 9,55.69.85; 17,6.64; 18,39.46; 19,77; 23,55 und öfter) werden im Koran Kinder in Verbindung mit Vermögen genannt. Eine große Schar von Kindern, vor allem Söhnen zu haben, konnte Macht, Einfluss, Ehre und – aufgrund von Arbeitskraft und Fähigkeiten – auch materiellen Reichtum bedeuten. An mehreren Stellen wird darauf hingewiesen, dass Vermögen und Söhne eine Gabe Gottes sind (Sure 17,6; 23,55; 26,133). Allerdings wäre es völlig falsch, sich darauf zu verlassen: „Ihr müsst wissen, dass das diesseitige Leben nur Spiel, Zerstreuung und Flitter (w. Schmuck) ist, und (darin besteht) dass ihr gegenseitig prahlt und mehr Vermögen und Kinder haben wollt (als die anderen).“ (Sure 57,20) Für das Verhältnis zu Gott sind sie nicht entscheidend: „Und nicht euer Vermögen und eure Kinder sind es, die euch in ein nahes Verhältnis zu uns (Gott) bringen. (Es kommt) vielmehr (auf den Glauben und die Werke an). Diejenigen, die glauben und tun, was recht ist, haben (dereinst) für das, was sie getan haben, doppelten Lohn zu erwarten.“ (Sure 34,37) – Am Tag des Gerichts sind eigene Kinder völlig bedeutungslos (Sure 60,3). „Weder eure Blutsverwandtschaft noch eure Kinder werden euch (dereinst etwas) nützen. Am Tag der Auferstehung wird Gott (w. er) zwischen euch (auf Grund eures eigenen Verhaltens) entscheiden. Er durchschaut wohl, was ihr tut.“ – Für die Heuchler sind sie auf keinen Fall eine Absicherung vor dem Gericht Gottes: „Ihr Vermögen und ihre Kinder werden ihnen vor Gott nichts helfen. Sie werden Insassen des Höllenfeuers sein und (ewig) darin weilen.“ (Sure 58,17) Deshalb werden die Gläubigen ermahnt: „Lasst euch nicht durch euer Vermögen und eure Kinder davon ablenken, Gottes zu gedenken! Diejenigen, die das tun, haben (letzten Endes) den Schaden.“ (Sure 63,9) Ja, sie werden gewarnt: „Ihr müsst wissen, dass euer Vermögen und eure Kinder euch (geradezu) eine Versuchung sind (um euch an dieser Welt festzuhalten), dass es aber (dereinst) bei Gott (für diejenigen, die der Versuchung des Diesseits widerstehen) gewaltigen Lohn gibt.“ (Sure 8,28; vgl. auch Sure 64,15) – In Sure 17,64 wird angedeutet, dass Reichtum und Kinder sogar zu den Mitteln gehören, mit denen Satan Menschen auf den Weg des Verderbens führt.

Anmerkungen zum Umgang mit Kindern

Des Weiteren findet sich im Koran eine Reihe von Einzelaussagen, wie Erwachsene mit Kindern umgehen und wie Kinder sich gegenüber ihren Eltern verhalten sollen. Wichtig ist, dass Kinder ihre Eltern ehren, auch wenn diese alt und schwach geworden sind (Sure 17,23f): „Und dein Herr hat bestimmt, dass ihr ihm allein dienen sollt. Und zu den Eltern (sollst du) gut sein. Wenn eines von ihnen (Vater oder Mutter) oder (alle) beide bei dir (im Haus) hochbetagt geworden (und mit den Schwächen des Greisenalters behaftet) sind, dann sag nicht ‚Pfui!‘ zu ihnen und fahr sie nicht an, sondern sprich ehrerbietig zu ihnen, und senke für sie in Barmherzigkeit den Flügel der (Selbst)erniedrigung (d. h. benimm dich ihnen gegenüber aus Barmherzigkeit freundlich und gefügig?) und sag: ‚Herr! Erbarm dich ihrer (ebenso mitleidig), wie sie mich aufgezogen haben, als ich klein (und hilflos) war!‘“ In Sure 24,59 wird eine „Anstandsregel“ weitergegeben: „Und wenn die Kinder von euch (Muslimen) den Zustand der Pubertät erreicht haben, dann sollen sie (beim Betreten einer Wohnung) um Erlaubnis fragen, wie das von jeher Sitte war (w. wie diejenigen, die vor ihnen lebten, um Erlaubnis gefragt haben).“ Regelung nach einer Scheidung: „Und die Mütter (die von ihrem Gatten entlassen sind) sollen ihre Kinder zwei volle Jahre stillen. (Das gilt) für die, die das Stillen ganz zu Ende führen wollen. Und der Vater (der betreffenden Kinder) ist verpflichtet, (während dieser Zeit) ihren Unterhalt (d. h. den Unterhalt der stillenden Mütter) und ihre Kleidung in rechtlicher Weise zu bestreiten.“ (Sure 2,233) Erbteilung: „Gott verordnet euch hinsichtlich eurer Kinder: Auf eines männlichen Geschlechts kommt (bei der Erbteilung) gleichviel wie auf zwei weiblichen Geschlechts…“ (Sure 4,11) Umgang mit Waisen: „Gott gibt euch … Auskunft, … dass ihr für das Recht der Waisen eintreten sollt.“ (Sure 4,127) In den Hadithen (kurze Berichte über Taten und Aussagen Mohammeds) wird gesagt, dass jedes Kind mit dem wahren islamischen Glauben (d. h. niemand anderen als den einen wahren Gott anzubeten) geboren werde; erst seine Eltern machen aus ihm einen Juden, Christen oder Götzenverehrer (Sahih Al-Buchari, Hadith 441+467). Außerdem wird die völlige Reinheit und Sündlosigkeit der neugeborenen Kinder vorausgesetzt (Sahih Al-Buchari, Hadith Nr. 46) – und zugleich erklärt, dass schon vor der Geburt festgelegt ist, ob ein Mensch für das Paradies oder für die Hölle bestimmt ist (Sunan Ibn Majah, Hadith Nr. 46+82).

 

 

Orientierung 2012-02; 15.04.2012

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