„Ihr seid die beste Gemeinschaft (arab. „umma”), die je unter den Menschen hervorgebracht worden ist.” (Koran, Sure 3,110 nach Khoury)

Die islamische Gemeinschaft gilt laut Koran als Volk, das aus allen anderen Gemeinschaften hervorragt. Sie zu bilden und zu erweitern, ist ein wichtiges Ziel des Islam.

Mohammed – Bauherr der Umma

Vor Mohammed waren die sozialen Bezüge auf der arabischen Halbinsel in erster Linie durch die Zugehörigkeit zu Stamm, Sippe und Familie geprägt. Die Sippen lagen in ständiger Fehde miteinander. Der Aufbau eines übergeordneten schlagkräftigen Gemeinwesens war dadurch unmöglich. Es ist eine wirklich erstaunliche Leistung Mohammeds, diese Gegensätze durch die Einführung des Islam als den neuen gemeinsamen Bezugspunkt überwunden zu haben. Nachdem der Bußprophet im Jahre 622 n. Chr. mit seinen Anhängern seine Heimatstadt Mekka verlassen musste (Hidschra), begann er in Medina, wo er freundlich aufgenommen wurde, mit dem Aufbau eines religiös-politischen Gemeinwesens. Diese islamische Gemeinschaft in Medina gilt Muslimen bis heute als Ur- und Idealbild der Umma. Schon zu Lebzeiten des Propheten wurden durch Überzeugung oder Zwang zahlreiche arabische Stämme geeint und in eine geordnete Gemeinschaft unter Führung Mohammeds eingefügt.

Die Umma als Theokratie

Nach islamischer Idealvorstellung gilt in der Gemeinschaft der Muslime unumschränkt der Wille Gottes. Religion, Staat, ja die ganze Lebenswirklichkeit wird von Gottes Verordnungen bestimmt. Demokratie in dem Sinne, dass die Mehrheit eines Volkes jeweils neu über die staatlichen Ordnungen entscheidet, passt nicht in diese Vorstellung. In der Ur-Umma in der Stadt Medina wurde der Wille Gottes allein durch den Propheten Mohammed bekannt gemacht. Später galten dann der Koran, die Sammlung der Offenbarungen Gottes an Mohammed, und die Sunna, die Lebensweise des Propheten, wie sie in zahlreichen Hadithen aufbewahrt wurde, als Grundlage für das Leben der islamischen Gemeinschaft. Koran und Sunna wurden durch islamische Rechtsgelehrte später für viele Situationen des privaten und staatlichen Lebens ausgelegt und angewandt. Die Gesamtheit dieser Ordnungen für das Leben der Umma wird oft als „Scharia“ (islamisches Gesetz) bezeichnet.

Der Kalif als Leiter der Umma

Nach dem Tod Mohammeds wurde ein „Kalif“, d. h. ein Stellvertreter und Nachfolger des „Gesandten Gottes” als Leiter der Umma eingesetzt. Über der Frage, wer zum Kalif ernannt werden solle, kam es schon bald zu der bis heute fortdauernden Spaltung der islamischen Gemeinschaft in „Sunniten” und „Schiiten”. Trotz vieler Kalifen und Gegenkalifen sowie oftmaliger machtpolitischer Bedeutungslosigkeit dieses Amtes, gab es das Kalifat bis zum Jahr 1924, als Atatürk, der Gründer der modernen Türkei, den osmanischen Kalifen in Istanbul für abgesetzt erklärte. Die Idee des Kalifats und die Hoffnung auf seine Erneuerung schwingen aber auch heute in vielen Ideologien islamischer Bewegungen mit. Das hängt vor allem damit zusammen, dass das Kalifat ein Symbol der weltweiten islamischen Einheit ist.

Die Einheit der Umma

Die starke Betonung der Einheit Gottes im Islam hat auch Auswirkungen auf sein Konzept von der Einheit der Umma. Mohammed hat sich vermutlich anfangs nur als Prophet der Araber verstanden. Später beanspruchte er jedoch für seine Botschaft universale Gültigkeit. Muslime sind heute stolz darauf, dass der islamische Glaube die Grenzen von Nationen, Rassen und gesellschaftlichen Klassen überwinde. Im Islam stehe jeder Mensch in der gleichen Stellung vor Gott. Oft wird der Islam in diesem Zusammenhang auch als die Alternative über den Gegensätzen von Kommunismus und Kapitalismus dargestellt. Hervorgehoben wird auch, dass es im Islam keinen Klerus gebe, keine „geistliche Klasse“, die in einer besonderen Mittlerstellung zwischen Gott und Menschen steht. Der Vorbeter einer Moschee erfüllt zwar eine leitende Funktion, erhält aber nicht eine Weihe, die ihn über die Mitmuslime herausheben würde. Die weltweite Einheit aller Muslime kommt besonders in den geforderten religiösen Handlungen (5 Säulen) zum Ausdruck. Das für alle gleichlautende Bekenntnis, einheitlicher Gebetsritus oder die gleichen Pilgergewänder und die gleichen Zeremonien für jeden Mekkapilger fördern das Bewusstsein einer muslimischen Zusammengehörigkeit. Auch der verbindliche Gebrauch der arabischen Sprache bei allen religiösen Handlungen hat zur Einheit von Muslimen, ja zu einer gewissen „Vereinheitlichung“ von Kulturen geführt. Ein überzeugter Muslim wird der islamischen Umma gegenüber eine höhere Loyalität verspüren als dem eigenen Staat gegenüber. Die Idealvorstellung von der Einheit der Muslime als Abbild der Einheit Gottes wurde und wird von der Wirklichkeit stark in Frage gestellt. Es gibt heute zahlreiche Schulen, Gruppen und Sekten im Raum des Islam, die in Leben und Lehre zum Teil stark voneinander abweichen. Erst recht ist die politische Einheit des Islam weit von ihrer Verwirklichung entfernt. Islamisch geprägte Nachbarstaaten (vgl. Iran/Irak, Türkei/Syrien) können die erbittertsten Feinde sein.

Die Ausbreitung der Umma

Trotzdem wirkt die Vorstellung von der Einheit der islamischen Gemeinschaft als Idealbild und Motivation fort. Damit hängt auch der Gedanke zusammen, dass der Muslim zur Ausbreitung dieser Gemeinschaft verpflichtet sei. Die Gebiete dieser Erde, wo die islamische Ordnung herrscht, werden oft als „Haus des Islam“ bezeichnet. Länder, in denen die göttlichen Gesetze nicht anerkannt werden, gehören zum „Haus des Krieges”. Die islamische Umma ist dazu aufgerufen, den Herrschaftsbereich Gottes auszudehnen.

Eintritt und Austritt

Mitglied der Umma werden Kinder von Muslimen mit der Geburt. Durch Unterweisung werden sie in die Ordnungen der Gemeinschaft eingeführt. Nichtmuslime treten der Umma bei, indem sie vor zwei muslimischen Zeugen das Glaubensbekenntnis auf Arabisch aufsagen. Der Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft ist nicht vorgesehen. Da die Umma auch eine politische Gemeinschaft ist, gilt Abfall vom Islam als Hochverrat, der nach der Lehrmeinung der wichtigen islamischen Rechtsschulen mit dem Tode zu bestrafen ist.

 

Orientierung 1999-01; 15.02.1999

Sie dürfen diesen Artikel frei kopieren unter Angabe der Herkunft: www.orientierung-m.de