Menschen stehen vor uns und deuten Szenen von entsetzlichen Gräueltaten an. Wir können nur ahnen, was sie erlebt und mit angesehen haben. Manchmal sind die Spuren ihres Leids auf ihren Körpern zu sehen: Narben von Schlägen, Säureangriffen, Feuern und Schüssen sind vom Anblick nur schwer zu ertragen. Auf den ersten Blick nicht zu sehen sind die Narben der Seele: Angststörungen, Depressionen, Konzentrations- und Schlafstörungen können Anzeichen für Traumata sein, die Erwachsene, Jugendliche und Kinder im Krieg und auf der Flucht erlebt haben.

 

Aber was ist eigentlich ein Trauma?

Ein psychisches Trauma ist eine schwere psychische Erschütterung, ein Ereignis oder eine langanhaltende Situation, die bei fast jeden Menschen tiefe Verzweifelung hervorrufen würde.

Studien zufolge haben 70% der in Deutschland lebenden Flüchtlinge Gewalt gegenüber anderen miterlebt, dazu gehört auch das Töten von anderen Personen vor ihren Augen. 55% sind selbst Opfer von Gewalt geworden, 43% wurden gefoltert, 35% erlebten Krieg und Gefangenschaft und etwa 20% sexuellen Missbrauch.

Auch Kinder und Jugendliche, die nach Deutschland kommen, haben diese Erfahrungen gemacht.

Solche Ereignisse gehen nicht spurlos an einem Menschen vorbei:

70% der Menschen berichten, dass sie ständig an die Ereignisse denken müssen, 53% haben „Flashbacks“*, 43% der Erwachsenen und 49% der Jugendliche haben Albträume, 63% Schlafstörungen und 55% Konzentrationsprobleme. Gerade die letzten beiden Punkte führen zu Problemen, wenn es zum Beispiel um die Lernfähigkeit in Deutschkursen geht.

Auch als Christen, die Flüchtlingen mit traumatischen Erfahrungen helfen wollen, sind wir von den Grausamkeiten nicht nur betroffen, sondern manchmal auch überfordert. Man will keine Wunden aufreißen und Ängste nicht verschlimmern. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, für gerade diese Menschen da zu sein.

Wir haben eine christliche Psychologin gefragt, wie wir helfen können.

*blitzartiges, erneutes Durchleben der traumatischen Erlebnisse mit körperlichen Reaktionen. 

 

Viele Menschen, die nach Deutschland kamen, haben Grausames erlebt. Welche Folgen kann das für sie haben?

Die Menschen haben meist viele traumatische Erfahrungen im Gepäck. Ein Teil reagiert darauf mit starken Ängsten, depressiven Symptomen, Schlafproblemen oder anderen Auffälligkeiten. Sie zeigen damit eine normale Reaktion auf außergewöhnliche und unnormale Situationen.

Viele der Jugendlichen legen zumeist eine unglaubliche Widerstandskraft an den Tag. Etwa die Hälfte von ihnen zeigt keine psychischen Auffälligkeiten. 

 

Woran kann man auch als Laie Anzeichen von psychischen Belastungen erkennen und was kann ich tun?

Psychische Belastungen können sich auf unterschiedliche Weise zeigen. Posttraumatische Belastungsstörungen kann man am ehesten in einem Gespräch bemerken. Häufig berichten die Betroffenen davon, dass sie traumatische Ereignisse wieder erleben. Sie träumen davon oder sehen die Szenen vor ihrem inneren Auge ablaufen. In vielen Fällen kommt es im Alltag zur Vermeidung von Situationen und Dingen, die an die traumatischen Ereignisse erinnern. Betroffene erzählen außerdem häufig von innerer Unruhe und Nervosität. Es fällt ihnen schwer, sich zu konzentrieren und sie reagieren manchmal sehr schreckhaft. Das sind Dinge, die Sie beobachten können, beispielsweise wenn es einem Menschen schwerfällt, zuzuhören oder dem Unterricht zu folgen. Viele belastete Menschen haben zudem Probleme beim Ein- oder Durchschlafen. Die Frage, wie jemand schläft, ist relativ unverfänglich und kann, wenn man sich schon ein wenig kennt, ruhig gestellt werden.

 

Wie sollte man sich im direkten Kontakt mit Menschen mit Traumata verhalten?

Was sollte man tun und was auf keinen Fall?

  1. AnsprechpartnerIn sein

Das heißt zum einen, nicht drängeln oder aktiv nach den traumatischen Erlebnissen fragen. Es ist wichtig, dass die Betroffenen selbst entscheiden dürfen, welchen Personen sie etwas erzählen. Es heißt zum anderen aber auch, nicht ablehnend zu reagieren, wenn der/die Betroffene Teile seiner traumatischen Erfahrungen erzählen möchte. Aussagen wie „Aber das war ja früher, da müssen Sie jetzt nicht drüber nachdenken“ sollten daher vermieden werden.

  1. Verlässlich sein

Traumatisierte haben erfahren, wie plötzlich die Welt aus den Fugen geraten kann. Seien Sie emotional verlässlich. Dazu gehört auch, dass Sie keine Sachen versprechen, die sie nicht einhalten können.

  1. Selbstwirksamkeit

Achten Sie darauf, angemessene Hilfestellungen zu geben, aber den Betroffenen nicht alles abzunehmen. Dadurch können sie keine eigenen Erfolgserlebnisse haben, die sehr hilfreich für sie sind. Versuchen Sie die Betroffenen anzuleiten, sodass sie sich selbst als erfolgreich Handelnde wahrnehmen können.

  1. Den Selbstwert stärken

Drücken Sie Wertschätzung über bereits Geschafftes aus und machen Sie sich gemeinsam auf die Suche nach Stärken der Betroffenen. Versuchen Sie, kleine Erfolgserlebnisse zu loben.

  1. Das Gefühl von Kontrolle und Wahlmöglichkeiten geben

Traumatisierte Menschen haben sich häufig in Situationen befunden, die sie nicht kontrollieren konnten. Überschütten Sie die Betroffenen daher nicht mit Angeboten. Erklären Sie möglichst genau, was angeboten wird und was dort passieren wird und überlassen Sie den Betroffenen die eigene Entscheidung.

  1. Zeit lassen

Für die Betroffenen sind oft schon alltägliche Situationen anstrengend. Es kann vorkommen, dass sie teilweise aus für uns nicht nachvollziehbare Weise reagieren. Geben Sie ihnen Zeit und versuchen Sie Verständnis zu signalisieren.

 

Gibt es einen Unterschied, wie mit Trauma umgegangen wird zwischen Gläubigen und Ungläubigen?

Wie kann eine Beziehung zu Gott helfen, Trauma zu bewältigen? 

Spiritualität und Religiosität kann ein Schutzfaktor sein. Das gilt vor allem dann, wenn das Gottesbild ein stärkendes und wohlwollendes ist. Dann wird Gott als Begleiter und Unterstützer wahrgenommen. Einige Menschen berichten auch davon, dass sie Gottes Weg mit all den Aufgaben nun gehen würden. Es fällt ihnen dann leichter, die Schwierigkeiten zu akzeptieren.

Ein „strafendes Gottesbild“ gilt hingegen nicht unbedingt als Schutzfaktor. Die Vorstellung, man habe das traumatisch Erlebte „verdient“, reduziert den Selbstwert und erhöht Scham- und Schuldgefühle.

Was kann ich tun, wenn ein Mensch sehr belastet wirkt und ich mir Sorgen mache?

Motivieren Sie den Betroffenen, einem Arzt oder Psychologen von den Problemen zu berichten. Häufig ist es hilfreich, wenn Sie eine konkrete Anlaufstelle nennen und dort einen Termin vereinbaren. Eine gute Anlaufstelle ist die Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.

Fragen Sie, ob Sie für die Person beten oder sie segnen dürfen:

»Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig, der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.« 4. Mose 6, 24ff

Das Interview wurde mit einer Psychologin, die mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen arbeitet, geführt. Ehrenamtlich engagiert sie sich für Integration von christlichen Jugendlichen in deutsche Gemeinden.