Maria, die Mutter Jesu, spielt im Islam eine besondere Rolle. In der arabischen Form „Maryam“ ist ihr Name der einzige Frauenname, der im Koran vorkommt. Sonst werden Frauen immer nur erwähnt als „die Frau des …“ – Ihr Name wird 34-mal genannt (Jesus nur 25-mal). Eine ganze Sure (Nr. 19) trägt ihren Namen. Auch auf andere Weise wird sie hervorgehoben. In einem Hadith nach Al-Buchari heißt es: „Der Satan berührt jeden Nachkommen Adams an dem Tag, an dem er zur Welt kommt. Nur bei Maryam und ihrem Sohn Isa war es nicht so; der Satan berührte sie nicht.“ Grundlage für das islamische Bild von Maria sind die zum Teil recht knappen Erzählungen und Andeutungen im Koran (z. B. Sure 3,35-37.42-47; 4,156; 19,16-34; 21,91; 66,12), die ergänzt werden durch neutestamentliche Aussagen und außerbiblische frühchristliche (z. B. koptische) Geschichten, wie sie von Korankommentatoren aufgenommen wurden. (Hinweise auf solche Quellen sowie einzelne Zitate daraus finden sich in dem Buch „The Sources of Islam“ von Rev. W. St Clair-Tisdall.) – So wird im Islam zum Teil mehr und anderes über Maria ausgesagt, als wir aufgrund des Neuen Testaments erfahren.

Die Geburt der Maria

Der Vater Marias trägt nach dem Koran den Namen Imran, der dem Namen Amram in 2. Mose 6,20 entspricht. Die Frau Imrans – manche islamische Lehrer geben ihren Namen aufgrund altkirchlicher Traditionen als Hanna (Anna) an – war kinderlos und schon alt, als sie beobachtete, wie ein Vogel sein Junges fütterte. In ihr erwachte ein sehnlicher Wunsch nach einem Kind, und sie bat Gott, ihr einen Knaben zu schenken; dabei versprach sie, dieses Kind dem Dienst Gottes zu weihen. Als sie im Gegensatz zu ihrer Erwartung eine Tochter zur Welt brachte, gab sie ihr den Namen Maria und vertraute sie dem Schutz Gottes an (Sure 3,35+36).

„Schwester Aarons“?

Die Tatsache, dass Maria im Koran als „Schwester Aarons“ (Sure 19,28+29) und Tochter Imrans (66,12) bezeichnet wird, legt die Vermutung nahe, dass Mohammed die neutestamentliche Maria mit der alttestamentlichen Mirjam (2. Mose 15,20) verwechselt haben könnte. Maria ist ja die griechische Form des hebräischen Namens Mirjam. Muslime erklären diesen Tatbestand gewöhnlich so: Maria stammte wie auch ihre Kusine Elisabeth aus einer priesterlichen Familie; deshalb waren sie in übertragenem Sinne Schwestern Aarons. Man sollte dann jedoch eher die Formulierung „Tochter Aarons“ erwarten, da Aaron als der erste in der Reihe der levitischen Priester sozusagen der „Vater“ des priesterlichen Geschlechtes war.

Maria im Tempel

Später wurde Maria zum Tempel gebracht, um dort Gott zu dienen. Verschiedene Priester wollten sie gern unter ihre Obhut nehmen und losten mit Pfeilen oder Röhrchen; auf diese Weise wurde Zakaria, der mit einer Schwester der Mutter Marias verheiratet war, bestimmt, ihre Pflege zu übernehmen (Sure 3,44+37). Zakaria ließ ihr im Tempelbereich ein Zimmer erbauen, in dem sie neben ihrem Dienst im Tempel Tag und Nacht betete. Wenn Zakaria zu ihr kam, fand er, dass Gott sie auf wunderbare Weise mit Nahrung versorgt hatte (3,37). Dort sollen auch die Engel ihr gesagt haben, welch hohe Stellung ihr von Gott zugedacht wurde: „O Maria, Gott hat dich auserwählt und rein gemacht, und Er hat dich vor den Frauen der Weltenbewohner auserwählt. O Maria, sei deinem Herrn demütig ergeben, wirf dich nieder und verneige dich mit denen, die sich verneigen.“ (3,42+43)

Die Jungfrauengeburt

Auch für den Islam ist das Wichtigste im Leben Marias, dass sie durch ein göttliches Wunder schwanger wurde und Jesus Christus zur Welt brachte. Die Ankündigung der Geburt Jesu und die Geburt selber werden geschildert in Sure 3,45-49 19,16-35 und 66,12. Während Sure 3,47 mehr das Allmachtswort Gottes betont („Wenn Er eine Sache beschlossen hat, sagt Er zu ihr nur: Sei!, und sie ist.“), erzählt Sure 66,12 davon, dass Gott von seinem Geist in Maria hineinblies. Es fällt auf, dass Koranausleger in diesem Zusammenhang immer wieder sehr deutlich betonen, die Tatsache der Jungfrauengeburt bedeute weder, dass Maria etwas anderes sei als eine menschliche Person noch dass ihr Sohn Gott selber als Vater habe. Dass Maria ohne Zutun eines Mannes, nur aufgrund göttlichen Handelns, ein Kind empfing, ist ein Zeichen der Allmacht Gottes.

„Hier zeigt sich nochmals … die Schwierigkeit der Auseinandersetzung mit dem Islam. Beide, Neues Testament und Koran lehren die Jungfrauengeburt. Der Inhalt der Erzählung im Koran stimmt in großen Zügen mit dem des Neuen Testaments überein. Und doch verbirgt sich hinter dieser Gemeinsamkeit ein Unterschied, der einen tiefen Riss zwischen der Verkündigung beider Heiliger Schriften sichtbar macht… Die Jungfrauengeburt ist im Koran nicht Hinweis auf die Inkarnation als Offenbarung der rettenden Liebe Gottes in Christus (Joh 3,16).“ (Johan Bouman, Christen und Moslems, S. 76)

Maria als eine Person der Trinität?

Möglicherweise hatte Mohammed gehört, dass Maria von Christen in seiner Umgebung als „Mutter Gottes” bezeichnet wurde, und diese Aussage mit dem christlichen Reden von der Dreieinheit Gottes (Trinität) in Verbindung gebracht, so dass er meinte, Christen glaubten an eine Art göttliche Familie aus Gott Vater, Gottesmutter Maria und Jesus als Sohn Gottes. Diese Vorstellung wird im Koran an verschiedenen Stellen mehr oder weniger deutlich abgewehrt: Und als Gott sprach: „O Jesus, Sohn Marias, warst du es, der zu den Menschen sagte: »Nehmt euch neben Gott mich und meine Mutter zu Göttern?«„ Er sagte: „Preis sei dir! Es steht mir nicht zu, etwas zu sagen, wozu ich kein Recht habe… Ich habe ihnen nichts anderes gesagt als das, was Du mir befohlen hast, nämlich: Dienet Gott, meinem Herrn und eurem Herrn!“ (Sure 5,116+117) Ähnlich heißt es in Sure 5,73+75: Ungläubig sind diejenigen, die sagen: „Gott ist der Dritte von dreien”… Christus, der Sohn Marias, ist nichts anderes als ein Gesandter; vor ihm sind etliche Gesandte dahingegangen. Seine Mutter ist eine Wahrhaftige. Beide pflegten, Speise zu essen… – Allerdings entspricht die Vorstellung von Maria als dritter Person der Trinität auch nicht dem biblischen Zeugnis. Der Koran weiß viel Außergewöhnliches über Maria zu sagen. Alles wird jedoch in den üblichen islamischen Rahmen eingeordnet: Gott hat zu den Menschen geredet durch Propheten. Selbst die Jungfrauengeburt wird nicht als ein Zeichen dafür angesehen, dass Gott mehr getan hat: dass Er Seinen Sohn gesandt hat als Erlöser.

 

Orientierung 2000-06; 15.12.2000

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