So wenig Sexualität im Christentum auf zwei Seiten umfassend beschrieben werden kann, ist es bei diesem Thema auch im Blick auf den Islam der Fall. Neben der nah-östlichen Kultur und dem Verständnis von Ehre und Schande ist Sexualität im Islam stark vom Vorbild Mohammeds und seiner Frauen geprägt. Aus der Fülle der Facetten des Themas können hier nur einige wenige angesprochen werden.

Saatfeld

Sexualität, wenn sie innerhalb ihres legalen Rahmens praktiziert wird, sieht man im Islam positiv. „Gleichzeitig wird der Geschlechtsakt unter frommen Muslimen und in der islamischen Lehre als unrein angesehen; der Gläubige soll deshalb während des Koitus ein Gebet sprechen und sich danach einer Waschung unterziehen“, berichtet Necla Kelek in ihrem Buch „Verlorene Söhne“. Neben sexueller Zuwendung spielt im Islam die emotionale Zuwendung zwischen den Geschlechtern kaum eine Rolle. Sie wird als Schwäche definiert, die die Autorität und Herrschaft des Mannes über die Frau untergraben könnte. Sexualität wird als natürliches Bedürfnis des Menschen bejaht. Ein Recht auf Erfüllung ihrer sexuellen Bedürfnisse haben der Mann wie die Frau. Die Frau kann eine länger währende sexuelle Vernachlässigung anmahnen. Sie ist da, um ihren Mann sexuell zu befriedigen (Sure 7,189) und viele (männliche) Nachkommen (16,72) hervorzubringen. Der Mann hat die Versorgungspflicht und kann von der Frau dafür Gehorsam auch auf sexuellem Gebiet verlangen. Bei Auflehnung darf er sie züchtigen und mit dem Entzug des ehelichen Verkehrs bestrafen (4,34). Das Züchtigungsrecht ist in einigen islamischen Ländern gesetzlich verankert. Der Mann hat das Recht, an jedem beliebigen Ort und zu jeder Zeit (außer in Zeiten ihrer Unreinheit) mit seiner Frau geschlechtlich zu verkehren, ohne sie um ihre Einwilligung fragen zu müssen: „Eure Frauen sind euch ein Saatfeld. Geht zu eurem Saatfeld, wo immer ihr wollt“ (2,223). Sexuellen Verzicht zu üben hat der Mann zu Zeiten der Unreinheit der Ehefrau, tagsüber im Ramadan und während der zentralen Riten der Pilgerfahrt. – In der Bibel steht die Aufgabe im Vordergrund, den Ehepartner zu lieben und zu ehren – auch in der Sexualität. Der Mann hat nicht Gehorsam einzufordern, sondern seiner Frau die „schuldige Pflicht“ (1.Kor 7,2-4) zu leisten. Die Bibel wendet sich gegen Eigenmächtigkeit und einseitige Verfügung eines Partners über den andern.

Zu zweit allein

Sexualität ist so selbstverständlich, dass Männer unter sich bzw. Frauen unter sich über dieses Thema meist sehr offen und häufig reden. Selbstverständlich aber auch in dem Sinn, dass sie dort praktiziert wird, wo die Gelegenheit dazu besteht. Das heißt dort, wo ein Mann und eine Frau sich alleine aufhalten, wird davon ausgegangen, dass dies mit dem Ziel eines sexuellen Kontaktes geplant war. Eine gemeinsame Arbeit oder ein kameradschaftlicher Kontakt wird ausgeschlossen. Eine Überlieferung formuliert: „Ein Mann befindet sich nie allein mit einer Frau, ohne dass nicht der Teufel sich als Dritter zu ihnen gesellt“. Man geht also davon aus, dass es innerhalb weniger Minuten zu sexuellen Handlungen auch von miteinander völlig unbekannten Personen kommen kann oder wird, sobald es die äußeren Umstände erlauben. Die Initiative, so glaubt man, geht dabei von der Frau aus, denn – wie manche Theologen formulieren – sie gilt als Verführerin des Mannes, der er in gewissem Maß hilflos ausgeliefert ist. Wie muss es Muslimen gehen, die Männer und Frauen in westlichen Gesellschaften z. B. auch als Touristen in islamischen Ländern sehen oder erleben, die zum Teil stolz auf ihre Freizügigkeit sind? Viele bewerten diese unsere Kultur als repräsentativ für das Christentum. – Als Jesus außerhalb des Ortes mit der Frau aus Samarien allein am Brunnen war (Joh 4,1-42), hatte er ihre Rettung im Sinn.

Geschlechtertrennung

Die Geschlechtertrennung wird im öffentlichen und religiösen Bereich vollzogen, im privaten Bereich teilweise durch Aufgabenverteilung und Wohnraumaufteilung. Weil der Mann für seine Frau eine Morgengabe entrichtet und weil „Gott sie (die Männer) ausgezeichnet hat“ (4,34), stehen sie über den Frauen. Daraus haben islamische Theologen den Schluss gezogen, dass der Mann in der Regel allein für den Unterhalt seiner Frau und Familie aufzukommen hat, ihm aber auch die oberste Entscheidungsgewalt zusteht. Muslime leiten von Sure 33,32-33+53 ab, dass es für eine Frau unmoralisch sei, mit Männern, die nicht wenigstens eng verwandt sind, zu sprechen oder sie direkt anzuschauen, sich außer Haus zu schmücken oder sich für Gänge in die Stadt zu parfümieren und das Haus zu verlassen, wenn es zu vermeiden ist. Der Mann dagegen hält sich vom Frauenbereich, von Frauenarbeiten fern. Die eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Frau hat ihre Wurzel außer im Koran auch in der islamischen Denkvoraussetzung, dass die Frau die Verführerin des Mannes ist, die das größere, schwerer zu zügelnde sexuelle Verlangen hat. Ihr Ehemann und die Gesellschaft müssen daher das Verhalten der Frau beständig kontrollieren. Es ist die Aufgabe der Frau, keinerlei Anlass zu Unmoral oder auch nur zum Verdacht der Unmoral zu geben, was durch das unvermeidliche Zusammentreffen mit dem andern Geschlecht außerhalb des Hauses sehr leicht gegeben sein kann. Begründet durch solche Moralauffassungen sind Männer und Frauen auch in der Moschee voneinander getrennt. – Die Bibel erwähnt sowohl für den Gottesdienst (1.Kor 11,3ff) als auch für die Ehe (Eph 5,22f) eine gewisse Unterordnung der Frau. Aus dem Alten wie dem Neuen Testament ist jedoch abzuleiten, dass sich Männer und Frauen in der Öffentlichkeit begegnen, miteinander arbeiten und Gottesdienste feiern.

Polygamie

Im Prinzip erlaubt der Koran dem Mann bis zu vier Frauen. Mohammed hat damit eine vorislamische Polygamie (Vielweiberei) in Sure 4,3 eingeschränkt. Weitere Nebenfrauen, die mit dem Mann nicht in rechtlicher Ehe leben, können dazukommen. Der Ehemann muss darauf achten, dass alle Frauen gleichmäßig und gerecht mit Nahrung, Kleidung, Wohnung und sexueller Zuwendung versorgt werden. Gesetzlich verbot bereits 1926 die Türkei und 1956 Tunesien die Vielehe, was nicht heißt, dass es sie nicht gibt. Trotz der Möglichkeit in den meisten anderen Ländern, machen meist aus wirtschaftlichen Gründen wenige von der polygamen Ehe Gebrauch. Sie ist häufiger in der Oberschicht der Golfstaaten anzutreffen. – Die biblischen Voraussetzungen für einen Gemeindeleiter („er darf nur mit einer Frau verheiratet sein“ – 1.Tim 3,2) gelten auch sonst als Vorbild für Christen.

Ehebruch

Nach Sure 24,2 stehen auf Ehebruch harte Strafen für Mann und Frau. Allerdings sind zur Feststellung des Ehebruchs vier Zeugen oder ein Geständnis nötig. Fälle von Ehebruch werden meist innerfamiliär geahndet. Bricht der Mann die Ehe, ist dies kein Scheidungsgrund, den die Frau vor Gericht anbringen könnte. Der Ehevertrag enthält ja keinerlei Treueversprechen. Bricht sie die Ehe oder gerät sie nur in den Verdacht, hat sie mit harten Strafen zu rechnen. Sie hat die Ehre der ganzen Familie in Verruf gebracht – eine Schande, die nur schwer wieder abzuwaschen ist. – Die biblischen Maßstäbe bezüglich der Enthaltsamkeit vor der Ehe und der Treue in der Ehe gelten gleichermaßen für Mann und Frau. Wie Jesus gerade mit einer beim Ehebruch ertappten Frau umgeht, zeigt seine Göttlichkeit, die die Umkehr der Sünder sucht (Joh 8,3-11).

Zeitehe

Die Prostitution wird im Islam verurteilt (24,33), ebenso wird Homosexualität (4,16; 7,80-81) abgelehnt. Sunniten haben die Zeitehe im 11. Jahrhundert n. Chr. als eine Art legalisierte Prostitution verurteilt. Schiiten jedoch halten an der Zeitehe (mut’a-Ehe, wörtlich „Genuss“-Ehe) bis heute als rechtmäßige, islamische Eheform fest. Sure 4,24 deutet diese Eheform an. Die Zeitehe beruht auf einer Vereinbarung zwischen Mann und Frau. Weder Verwandte, der Richter (Qadi) noch die üblichen zwei Zeugen sind dazu nötig. Die Frau erhält für die Dauer der Ehe (wenige Stunden bis 99 Jahre) eine Entlohnung – meist zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. Die Frau hat außer der Entlohnung keinerlei weiteren Anspruch (Nahrung, Kleidung, ein Zuhause, Unterhaltszahlungen – falls ein Kind gezeugt wird). – Die biblische Ehe beinhaltet Liebe, sowie die geistige und geistliche Gemeinschaft, lebenslange Fürsorge, Verantwortung und Treue, ein Füreinanderleben (Eph 5,25-31).

 

Orientierung 2006-04; 15.09.2006

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