Was Christen bei einem Trauerbesuch bei muslimischen Afghanen erwarten können.

Seit einiger Zeit kennen meine Kollegin und ich die Familie Sadik. Sie kommen aus Afghanistan und sind noch neu hier in Deutschland. Sie sind jung und haben zwei kleine Kinder. Obwohl sie schon eine eigene Wohnung beziehen konnten und auch finanziell versorgt sind, besteht noch eine starke Bindung zu ihrer Heimat und sie vermissen ihre Familie.

Nun bekommen sie die Nachricht, dass der Bruder von Amina, der gerade mal zwanzig war, in Afghanistan umgebracht wurde. Dies ist ein großer Schock für Amina und sie ist wie verändert. Wir haben durch eine andere Afghanin davon erfahren. Da wir schon gelernt haben, dass man möglichst bald Trauernde besuchen soll, machen wir uns auf den Weg, mit einem mulmigen Gefühl. Was uns da erwarten wird, wissen wir nicht.

Nachdem wir geklingelt haben, öffnet uns eine in schwarz gekleidete Verwandte und führt uns in das Zimmer, in dem Amina inmitten von vielen Nachbarn und Verwandten sitzt. Wir kondolieren Amina, die teilnahmslos da sitzt, und setzen uns auf noch freie Plätze. Nun fängt Amina an zu weinen, zu klagen und schließlich so laut zu schreien, dass man es durch das offene Fenster bestimmt bis zur Straße hinunter hören kann. Das geht noch eine Weile so, und auch einige der anwesenden Frauen weinen mit. Aber nach und nach wird es wieder still, bis der nächste Besucher kommt und das Ganze sich wiederholt.

Es scheint den Trauergästen ganz wichtig, dass man die Trauernde nun nicht alleine lassen kann und mit ihr das Leid „teilt“. Noch immer kommen neue Gäste dazu. Die Zeit geht nur langsam dahin, während in der Küche ein emsiges Treiben herrscht und viel Essen vorbereitet wird. Wir lernen, dass die Trauernde von allen Arbeiten im Haus entbunden wird und sich ganz der Trauer hingeben und bei den Gästen sitzen kann.

Nun kommt ein muslimischer Geistlicher und liest aus dem Koran und spricht Gebete. Die Anwesenden hören still zu. Er bleibt nicht sehr lange. Danach wird Essen gereicht, das im Gedenken an den Verstorbenen gegessen wird. Nachdem wir nun schon bald drei Stunden da waren, verabschieden wir uns. Auf dem Weg nach Hause unterhalten wir uns noch darüber, wie unterschiedlich doch getrauert wird. Wir im Westen brauchen es eher, in der Stille allein uns ausweinen zu können. Der Schmerz über den Verlust ist aber wohl überall der Gleiche.

 

Orientierung 2014-04; 23.11.2014
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