Trauer tut weh. Sie raubt Freude und Lebenskraft. Deshalb kann man sie nur negativ bewerten. – Stimmt das?

Jesus Christus beginnt seine berühmte „Bergpredigt“ (Mt 5-7) mit einer Reihe von acht „Seligpreisungen“. Mit dem Wort „makarios“ (= glücklich) wurden in der antiken griechischen Welt Gratulationen ausgesprochen für Menschen, denen es gut ging: ‚Wohl dem, der wohlgeratene Kinder hat, reich ist, hohe Erkenntnis besitzt…’ Nun „gratuliert“ Jesus Christus in Seiner zweiten Seligpreisung erstaunlicherweise den Trauernden: Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. (Mt 5,4)
Offensichtlich meint Jesus nicht, ein gläubiger Mensch dürfe überhaupt nicht trauern. Ebenso wenig hält Er Trauer für etwas völlig Negatives. Was aber mag es bedeuten, wenn Er hier eine „Gratulation zur Trauer“ ausspricht?

Damit wir das verstehen können, ist ein Umweg durch das Alte Testament hilfreich. Dort steht zum Beispiel: Besser, ins Haus der Trauer zu gehen, als ins Haus des Gastmahls zu gehen; denn jenes ist das Ende aller Menschen, und der Lebende nimmt es sich zu Herzen. … Das Herz der Weisen ist im Haus der Trauer, das Herz der Toren aber im Haus der Freude. (Prediger 7, 2+4)

Der „Prediger“ will hier nicht Genuss und Lebensfreude madig machen. Ihm geht es um eine nüchterne Sicht der Wirklichkeit: Lebensweisheit statt Selbstbetrug. Im Haus der Trauer können wir einiges Wichtige lernen, weil dort ganz deutlich sichtbar wird:

 

WIR LEBEN IN EINER VERGÄNGLICHEN WELT
1) Das Leben ist nicht eine „ewige Party“. Die Lebenszeit ist endlich und deshalb kostbar. Wenn du dir das zu Herzen nimmst, fragst du, für was du deine Zeit einsetzen willst, was denn der Sinn deines Lebens ist. Ohne Antwort auf diese Frage wirst du entweder deine Lebenszeit vertrödeln und verträumen, oder in Lebensgier versuchen, „alles mitzunehmen“, was sich dir bietet – und am Ende doch arm dastehen. Ein Leben nur im „Haus des Gastmahls“ mit „Jubel, Trubel, Heiterkeit“ ist eben nicht das wahre Glück; es ist Illusion und Selbstbetrug!

2) Es gibt ein „Zu-spät!“ Es ist gefährlich, Wichtiges aufzuschieben: Die Entscheidung, bewusst zu Gott umzukehren; sich mit einem Menschen zu versöhnen; jemandem einen Wunsch zu erfüllen, Liebe zu zeigen… Ganz schnell kann die Gelegenheit dazu unwiederbringlich verpasst sein.

3) Der Augenblick, den ich jetzt erlebe, ist einzigartig. Darum will ich ihn bewusst erleben. Für Schönes will ich dankbar sein – und im Blick auf Schweres will ich vertrauen, dass Gott auch damit einen guten Plan hat. (Pred 7,14) – All das und noch mehr kann ich im Haus der Trauer lernen!
Schon das Alte Testament weist aber darauf hin, dass es ein noch tieferes Problem gibt als Vergänglichkeit und Tod: Mose betet in Psalm 90: Denn wir vergehen durch deinen Zorn, und durch deinen Grimm werden wir verstört. Du hast unsere Ungerechtigkeiten vor dich gestellt, unser verborgenes Tun vor das Licht deines Angesichts. Denn alle unsere Tage schwinden durch deinen Grimm. (Ps 90,7-9)

 

WIR LEBEN IN EINER WELT DER SÜNDE
Der Tod ist die Folge der Sünde (Röm 6,23). Hier ist nicht von persönlichen Sünden die Rede, sondern es geht um die allgemeine Sünde, die seit Adam und Eva die ganze Menschheit regiert. Gerade in einer Zeit der Trauer kann uns bewusst werden, welche Macht der Tod als Folge der Sünde hat und wie er uns mitten in unserem Leben furchtbare Schmerzen zufügen kann. Trauer belastet uns ja nicht nur in unserer Gefühlswelt, sondern bis ins Körperliche hinein. „… durch deinen Grimm werden wir verstört.“ (Ps 90,7)

Kaum etwas macht den Ernst und die Schwere der Sünde so deutlich wie die Trauer: Wir erfahren, dass Schönes, Wertvolles, ein geliebter Mensch uns weggenommen und unser Lebensglück zerstört wird – und wir können es nicht verhindern. Diese furchtbare Tatsache lässt uns ahnen, wie schlimm Sünde aus Gottes Sicht sein mag. Vergänglichkeit, Tod und Trauer sind die Folgen davon, dass wir als Menschheit seit Adam Gott, die Quelle des Lebens, missachtet und uns von Ihm abgewandt haben.

In Psalm 90 folgt die Bitte: So lehre uns denn zählen unsere Tage, damit wir ein weises Herz erlangen! (V. 12) – Wer ein weises Herz hat, wird nicht das Vergängliche für ewig halten, sondern nach der Ewigkeit fragen; er wird nicht nach Betäubung, sondern nach Trost suchen; er wird fragen, wie wir mit Gott versöhnt werden können.
Genau auf diese Fragen verspricht Jesus Christus uns eine Antwort, wenn Er sagt: Glückselig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. (Mt 5,4)

 

DER SIEGER ÜBER SÜNDE UND TOD
Dass Trauernde getröstet werden, ist ja kein allgemein gültiges „Naturgesetz“; Menschen können in Trauer versinken und verzweifeln. Im Grunde ist dieser Satz nur aus dem Mund von Jesus Christus wahr. Er redet hier von Sich Selber, von dem, was Er für uns tut, wenn wir in unserer Trauer nach Ihm suchen und zu Ihm kommen. Seine Zusage: „Sie werden getröstet werden“, ist eigentlich eine Einladung: ‚Bei mir findet ihr Trost!’

1) Er nimmt die Sünde weg. Damit ermöglicht Er uns eine neue Beziehung zu Gott. Wenn wir uns durch Jesus Christus mit Gott versöhnen und uns alle Schuld vergeben lassen, wissen wir: Gott ist jetzt für uns, und weder Tod noch Leben können uns von Seiner Liebe trennen (Röm 8,31+38f).
Trösten können ja letztlich nicht irgendwelche tröstlichen Worte; echter Trost kommt durch die Gegenwart einer Person. So verspricht Gott: Wie einen, den seine Mutter tröstet, so will ich euch trösten. (Jes 66,13) – Ein Kind hat sich verletzt und läuft schnell zu seiner Mutter; es tut noch weh, aber das Kind ist mit dem Schmerz nicht (mehr) allein; es kann bei der Mutter jammern und weinen – und es erfährt Geborgenheit. In den Armen der Mutter wird alles wieder gut. So tröstet unser himmlischer Vater!

2) Jesus Christus verschlingt durch Seinen Sieg die Macht des Todes. Durch Seine Auferstehung hat Er uns gezeigt: Die gewaltige, unerbittliche und für uns unüberwindliche Macht des Todes ist überwunden – und nun warten wir darauf, dass Sein Sieg völlig offenbar werden wird.
Die Schlusskapitel der Bibel zeigen uns Gottes Ziel mit uns: Gott selbst wird bei ihnen sein, ihr Gott. Und er wird jede Träne von ihren Augen abwischen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Trauer, noch Geschrei, noch Schmerz wird mehr sein: denn das Erste ist vergangen. (Offb 21,3-5)
Noch erleben wir beides: Trost und wunderbare Hoffnung durch unseren Herrn – und die bittere Erfahrung, dass uns das Liebste und Wertvollste weggenommen werden kann. Es ist keineswegs geistlich, zu meinen, wir müssten „darüber stehen“ und dürften nicht weinen und klagen. Wir müssen allerdings weder verzweifeln noch uns betäuben. Auch in der Trauer lädt uns Jesus ein, zu Ihm zu kommen. Bei Ihm und durch Ihn werden wir in Wahrheit „getröstet werden“.

Orientierung 2014-04; 23.11.2014
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