Koran

Im Koran tauchen die Begriffe Ehre und Schande nur vereinzelt auf. Gott selber wird als der Ehrwürdige bezeichnet (Sure 55,78). Ganz allgemein kann gesagt werden, dass Gott die Söhne Adams geehrt hat – indem er sie zum Beispiel vor vielen anderen Geschöpfen sichtlich ausgezeichnet hat (17,70-71). Außerdem geht es vor allem um die Ehre, die Allah den rechten Gläubigen dadurch erweist, dass er sie nach dem Tod ins Paradies einlässt (70,35). Sie „werden ehrenvoll aufgenommen in den Gärten der Wonne“ (37,42-43). Ein äußerer Ausdruck für die Ehre, die ihnen zuteil wird, sind unter anderem die kostbaren Gewänder, die sie tragen (76,21). – Was im Alltag im zwischenmenschlichen Bereich unter Ehre und Schande verstanden wird, ist im Vorderen Orient viel mehr durch Traditionen bestimmt, die innerhalb der Familien gelebt werden.

Gott ehrt den, der richtig glaubt, Pflichten einhält und sich für Allah einsetzt: Das Jenseits, die paradiesischen Gärten, zu erreichen, ist an Bedingungen gebunden: Gebet, Almosen, Glauben, keinen außerehelichen Sexualverkehr … (70,22-35). Zum richtigen Glauben gehört auch der nötige Eifer. Bereits im diesseitigen Leben werden Gläubige dafür reichlich bedacht und erhalten im jenseitigen Leben noch höhere Ehre. Wer nicht auf den von Mohammed verkündigten einen Gott vertraut, hat mit Tadel und Ausgrenzung zu rechnen (17,19-22).

Gott ehren heißt im Islam: auf Mohammed hören und ihm kompromisslos dienen. Wohlergehen wird denen versprochen, die an Mohammed glauben, ihn ehren und unterstützen „und dem Licht folgen, das mit ihm herab gesandt worden ist“ (7,157). Willkürlich kann Gott über Macht und Ehre verfügen: er verleiht Ehre und erniedrigt, wie es ihm beliebt (3,26). Wer nur an einen Teil der Schrift glaubt, verdient „Schande im diesseitigen Leben. Am Tag der Auferstehung werden sie der schwersten Strafe zugewiesen werden“ (2,85).

Gott ehrt die Menschen und verleiht denen gewaltigen Lohn, die „mit ihrem Vermögen und mit ihrer eigenen Person Krieg führen, gegenüber denjenigen, die daheim bleiben“ 4,95) und zeichnet sie mit besonderen Rangstufen aus (4,96; ähnlich 9,20).

Die Gläubigen sollen Gott und Menschen ehren durch maßvolle Freigebigkeit gegenüber anderen Gläubigen: Freigebigkeit wird als Ehrerweis gesehen. Es kann eine Prüfung Gottes sein, wenn er einem Menschen Ehre und Wohltaten erweist – oder sie ihm wieder entzieht. Die Menschen müssen sich aber vorwerfen lassen, dass sie die Waisen nicht ehren und nicht für die Armen sorgen (89,15-20). „Ehren“ erscheint hier auch als materielle Fürsorge. Der Gläubige soll mit Gaben (an Verwandte, Arme, Reisende, an in Not geratene Gläubige) nicht knausern, als wäre „seine Hand an den Hals gebunden“, er soll aber auch nicht hemmungslos Geschenke austeilen – „damit du (schließlich) nicht getadelt und (aller Mittel) entblößt dasitzt!“ (17,29). Wer maßlos bzw. knauserig ist, wer unberechtigt tötet, wer Unzucht begeht: „Ihm wird die Strafe verdoppelt werden und erniedrigt (verachtet) wird er der Strafe ausgesetzt bleiben“ (25,68-69).

Hadithen

Aus der Fülle von Hadithen einige Zitate: Laut Al-Buchari, Muslim und Nasa’i sollen die eigenen Eltern geehrt werden; selbst die Teilnahme am Heiligen Krieg ist demgegenüber zurückzustellen. Mangelnde Ehrerbietung gegenüber den Eltern zählt zu den großen Sünden. Bei den Eltern spielt die Ehre der Mutter eine Sonderrolle: die Gemeinschaft mit ihr wird der mit dem Vater vorgezogen. Von der Mutter wird gesagt: „Das Paradies liegt zu ihren Füßen“.

„Beneidet einander nicht. Überbietet euch nicht gegenseitig im Handel. Hasst nicht einander. Kehrt nicht einander den Rücken… Der Muslim ist der Bruder des Muslims… er ist für einen anderen Muslim unantastbar: sein Blut, sein Eigentum und seine Ehre“ (Muslim). Der Muslim, der „an Allah und den Jüngsten Tag glaubt, der soll seinen Nachbarn ehren“, er „soll seinen Gast ehren“ (Al-Buchari und Muslim).

„Das Gebet des Mannes mit der Gemeinschaft (anderer Muslime) ist 25-mal besser als sein Gebet in seinem Haus oder in seinem Geschäft“. Sind die Motive rein und ist die Waschung vollzogen, „so (gereicht) dient ihm jeder Schritt zum Gebet zur Erhöhung seiner Rangstellung um eine Stufe und zur Vergebung einer Sünde“ (Al-Buchari). Wer dagegen „dem Freitagsgebet dreimal aus Nachlässigkeit fernbleibt, dem versiegelt Gott sein Herz“ (Abu Dawud).

„Zu dem, was die Menschen von den Worten des früheren Prophetentums erhalten haben (gehört): Wenn du dich nicht schämst, so tu, was du willst“ (Al-Buchari). Dieser Hadith hat zwei anerkannte mögliche Auslegungen: 1. dass man seinem eigenen Gewissen folgen kann, so lange man sich nicht schämt, oder 2. dass es für jemanden, der keinerlei Schamgefühl hat, nichts gibt, das ihn hindern könnte, so zu handeln, wie er will, also auch schlecht.

Biblische Gegenüberstellung

Gott hat uns Menschen von Anfang an Ehre gegeben und uns über seine Schöpfung gesetzt. Er hat sie unserer Fürsorge anvertraut. Gott ehrt uns durch die Gottesebenbildlichkeit, die das Wesen des Menschen bestimmen soll (Ps 8,5ff). Gott wirft seinem Volk Israel vor, dass es nicht versteht, worin seine tiefste Schande liegt: in der Untreue gegen Gott (Jer 6,15). Diese Schande gilt es zu erkennen (Hes 16,63). Untreue hatte Schmach und Schande vonseiten der Feinde Israels zur Folge (Jes 61,7), was vor allem Ausbeutung und ständige Angst bedeutet.

Christen sollen alle Menschen, auch den Kaiser, ehren (1.Petr 2,17). Durch den Heiligen Geist gehören auch Sklaven und Nicht-Israeliten zur Gemeinde (1.Kor 12,13). Während der Christ nach dem Neuen Testament keinen Menschen in Unehren halten darf, muss er dagegen die eigene Verunehrung um Jesus willen ertragen. Dazu kann Verachtung, körperliche Misshandlung oder ein verunehrendes Leiden gehören, das nach dem Vorbild von Christus um der Liebe willen getragen werden muss (Jes 53,1ff; 1.Petr 2,23f; Hebr 12,2). Diese Unehre kann aus der Kraft Gottes bewältigt werden (2.Kor 6,8ff). Die Schande (Röm 1,24.26) liegt vor allem darin, dass der Mensch aus der gottgegebenen Ehre herausfällt und seinen Leib missbraucht. Nicht nur durch Perversion, sondern auch durch falsche Askese (Kol 2,23) wird die Ehre verletzt, die wir vor Gott haben sollten. Anders als im Alten Testament hat im Neuen Testament der Segen durch äußere Güter seine Rolle als Basis für die Ehre weithin eingebüßt.

 

Orientierung 2008-02; 15.04.2008

Sie dürfen diesen Artikel frei kopieren unter Angabe der Herkunft: www.orientierung-m.de