Nach islamischer Lehre ist einer der 99 Namen Allahs (29): „Die Gerechtigkeit“ (al-`adl). Allerdings kommt diese Aussage im Koran nicht vor; es finden sich auch keine Verse, die konkret davon reden, dass Allah gerecht sei oder dass seine Taten gerecht seien (außer im Blick auf den Tag des Gerichts). – Womit begründen also Muslime die These, dass Allah gerecht sei, und was ist in diesem Zusammenhang mit „Gerechtigkeit“ gemeint?

ALLAH FORDERT GERECHTIGKEIT
Allah fordert von den Menschen gerechtes Verhalten: Ihr Gläubigen! Steht vor Gott als Zeugen für die Gerechtigkeit ein! Und lasst nicht den Hass anderer Leute euch dazu bringen, dass ihr nicht gerecht seid. Seid gerecht! Das entspricht eher der Gottesfurcht. (Sure 5,9 – vgl. auch 7,29; 16,90 u. öfter) Zur „Gerechtigkeit“ Allahs gehört nach islamischem Verständnis aber nicht unbedingt das Erlassen von Ordnungen, die für alle gleich sind. Wenn Allah z. B. Mohammed „Privilegien“ gewährt (vgl. 33,50-52 mit 4,3), wenn er scheinbar willkürlich Gebote erteilt (Änderung der Gebetsrichtung – 2,142-144), oder Strafen anordnet, die überzogen erscheinen (z. B. Handabhacken bei Diebstahl – 5,41), widerspricht das nicht seiner „Gerechtigkeit“. Als der Allmächtige bestimmt er in völliger Freiheit, was „gerecht“ ist.

ALLAH RICHTET GERECHT
Die Korantexte über den Tag des Gerichts vermitteln den Eindruck: die Taten aller Menschen werden ohne Ansehen der Person gerecht vergolten. In Sure 21,47 spricht Allah: Und Wir stellen die gerechten Waagen für den Tag der Auferstehung auf. So wird keiner Seele in irgend etwas Unrecht getan. Und wäre es auch das Gewicht eines Senfkornes, Wir bringen es bei. – Auch Sure 4,124 unterstreicht, dass den Gläubigen nicht ein Dattelgrübchen Unrecht getan wird. Weder etwas Kleines oder etwas Großes wird ausgelassen (18,49).
Wie verbreitet und gravierend die menschliche Bosheit ist, wird in Sure 16,61 aufgedeckt: Und wenn Gott die Menschen wegen ihrer Frevelhaftigkeit belangen würde, würde er auf der Erde kein Lebewesen übriglassen. Aber er gewährt ihnen auf eine bestimmte Frist Aufschub. Hier wird der Gerechtigkeit Allahs, der eigentlich alle Menschen wegen ihrer Sünde vernichten müsste, unvermittelt seine Geduld und Barmherzigkeit gegenüber gestellt.
Das gilt ähnlich selbst für den Tag des Gerichts. So sehr im Islam Allahs gerechtes Richten betont wird: im Koran kann es auch heißen: Allah vergibt, wem er will – ohne alle Vorbedingungen (Sure 48,14; 2,284; 5,18). In diesem Zusammenhang wird letztlich nicht nach seiner Gerechtigkeit gefragt: ob Allah nicht ungerecht handelt, wenn er Schuld ungestraft lässt und dem Sünder „einfach so“ vergibt. Auch die Frage, wie es mit Allahs Gerechtigkeit vereinbar sei, die Umkehr eines Menschen anzunehmen, ohne eine Wiedergutmachung für die Schuld zu fordern, taucht meiner Beobachtung nach nicht auf. In Sure 5,39+40 heißt es: Wenn aber einer, nachdem er gefrevelt hat, umkehrt und sich bessert, wendet Gott sich ihm (gnädig) wieder zu. Gott ist barmherzig und bereit zu vergeben. Als Begründung wird nur genannt: Weißt du denn nicht, dass Gott die Herrschaft über Himmel und Erde hat, und dass er bestraft, wen er will, und vergibt, wem er will? Gott hat zu allem die Macht. – Wie die Gerechtigkeit steht auch die Vergebung letztlich unter Allahs Allmacht und seiner absoluten Freiheit.

GERECHTIGKEIT HEIßT: KEINE STELLVERTRETUNG
Jeder Mensch wird unmittelbar vor Allah stehen: macht euch darauf gefasst (dereinst) einen Tag zu erleben, an dem niemand etwas anstelle eines andern übernehmen kann… (Sure 2,123) – Sure 6,164: … Und jeder begeht nur zu seinem eigenen Nachteil (was er sich an Sünden zuschulden kommen lässt). Und keiner wird die Last eines anderen tragen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Allahs Gerechtigkeit erscheint im Islam völlig „jenseitig“: sie ist mit menschlichen Vorstellungen nicht zu erfassen, und erst am Tag des Gerichts wird sich wirklich konkret zeigen, wie seine Gerechtigkeit aussieht. Es gibt keinen Punkt in der Geschichte, an dem sie sichtbar würde.

BIBLISCH:
Nach dem Neuen Testament zeigt sich Gottes Gerechtigkeit innerhalb der Geschichte konkret in der Kreuzigung von Jesus Christus. In dem sehr komprimierten Text Röm 3,25f macht der Apostel Paulus folgende Aussagen: 1) Gott hat in Seiner Geduld (seit dem Sündenfall) Sünde nicht sofort mit dem angedrohten Tod bestraft, sondern oft und lange die Sünder mit Nachsicht behandelt; 2) nun aber vollzieht Er in der Kreuzigung unseres Herrn Jesus Christus Sein Urteil über die menschliche Sünde und offenbart damit: die gerechte Strafe für die Sünde ist Tod, Schande und Trennung von Gott; 3) diese Strafe nimmt Gott auf Sich in dem gekreuzigten Christus, den Gott vor die Augen der ganzen Welt hinstellt als stellvertretendes Sühnopfer (auch wenn es dem muslimischen und dem allgemeinen menschlichen Gerechtigkeitssinn widerstrebt, dass der gerechte Jesus für die Ungerechten leidet); 4) wer sein Vertrauen darauf setzt, dass Jesus Christus als der Sündlose mit Seinem Leben die gerechte Strafe für die Schuld aller Menschen bezahlt hat, wird mit Gott versöhnt; 5) damit zeigt Gott ganz konkret, dass Er gerecht ist und völlig gerecht richtet – gerade auch dann, wenn Er die Menschen für gerecht erklärt, die ihr Vertrauen auf Jesus Christus setzen und Sein stellvertretendes Opfer im Glauben für sich annehmen.
Auf der Grundlage der Gerechtigkeit, dass das ursprüngliche Urteil (1. Mose 2,17) vollzogen, die Sünde bestraft und die Schuld bezahlt ist, bietet Gott uns Sündern Seine Gnade an. Deshalb kann Johannes schreiben: Wenn wir unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von jeder Ungerechtigkeit (1. Joh 1,9) – und somit die Vergebung mit Gottes Gerechtigkeit verbinden. Nachdem unsere Schuld getilgt wurde, wird Gott in Seiner Gerechtigkeit sie nicht ein zweites Mal bei uns einfordern. Darum gibt es auch Gewissheit der Errettung und echten Frieden mit Gott durch Jesus Christus.

Orientierung 2014-03; 26.08.2014
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