Die verschiedenen Titel und Bezeichnungen für muslimische Leiter können uns verwirren. In diesem Artikel geben wir eine Übersicht der gebräuchlichen Bezeichnungen und ihrer Bedeutung

 

Muhammad hatte für seine Nachfolge keine Regelung getroffen. Deshalb wurde nach seinem Tod 632 n. Chr. einer der größten Heerführer, Abu Bakr, alsKalif (w. Nachfolger) bestimmt. Mit der Schaffung des Kalifenamtes wurde versucht, die weltliche und geistliche Führung weiterhin zu vereinen. Weitere Kalifen folgten, es bildeten sich Herrscher-Dynastien (Omaijaden, Abbasiden…). Neben großen Kalifaten existierten auch mehrere kleine. 1517 n. Chr. übernahmen die Sultane des Osmanischen Reiches mit Sitz in Konstantinopel das Kalifat, bis dieses durch die türkische Nationalversammlung 1924 n. Chr. endgültig abgeschafft wurde.

Einige Jahrhunderte nach Muhammads Tod war in manchen Regionen der Titel Kalif nur noch eine Ehrenbezeichnung. Dadurch gab es keine offizielle Instanz mehr, in der sich die Einheit des Islam manifestierte. Die tatsächlichen Herrscher nannten sich nun Sultan (w. Herrschaft). Der Sultan führte eine islamische Teil-Gemeinde, ein Sultanat.

Bis heute existiert in London das Kalifat der Ahmadiyya-Bewegung, einer stark missionarisch ausgerichteten islamischen Sondergruppe, die 1974 in mehreren Ländern des Nahen Ostens verboten wurde. Mirza Ghulam Ahmad gründete 1889 diese Bewegung. Nach seinem Tod 1908 folgten ihm die Kalifat al-Massih (Kalif des Messias) genannten Führer der Ahmadiyya Muslim Jamaat. Die Kalifen der AMJ werden von einem Wahlkomitee auf Lebenszeit gewählt und residieren seit 1984 in der Fazl-Moschee in London.
Muhammad hatte einen Schwiegersohn namens Ali. Als Ali im Jahr 661 n. Chr. gestorben war, wollte die schiitische Partei die weitere Nachfolge mit seinen beiden Söhnen Al-Hasan und Al-Husain als dem 2. und dem 3. Imam fortsetzen und damit die legitime Herrschaft auf Muhammads Familie übertragen. Doch dieser Plan wurde vereitelt und führte zur Spaltung von Schiiten und Sunniten.

Der Begriff Imam bedeutet im Koran soviel wie Vorbild oder Führer. Er wird in der islamischen Welt in unterschiedlicher Weise gebraucht: Zum einen gilt der Imam als geistiger Nachfolger des Propheten Mohammad. Er handelt in dessen Namen. Als Imam des gesamten muslimischen Volkes wird er bei den Sunniten auch als Kalif bezeichnet. – Bei den Schiiten stehen die „wahren Imam“ der gesamten schiitischen Gemeinschaft vor. Nach der reinen Lehre werden der Titel Imam und das Wissen vererbt, das heißt durch den Vater weitergegeben. Der Imam gilt als der alleinige Kenner der mystischen Seite des Islam und ist als einziger befähigt, den Koran und sein Recht verbindlich auszulegen. – Auch die Begründer der vier sunnitischen Rechtsschulen werden als Imame bezeichnet. – Außerdem wird der Vorbeter in der Moschee „Imam“ genannt. Er ist auserwählt, die Gläubigen während des Gebets zu führen. Die Technik des Gebets muss beherrscht werden. Der Vorbeter ist jeweils derjenige, der den Koran am besten auswendig auf Arabisch vortragen kann.

In der Regel sprechen Muslime von ihrem Hodscha, ihrem geistlichen Leiter. Nach der Überlieferung kennt er die göttlichen Gesetze ganz genau und erklärt sie den Menschen. Die Muslime sollen den Riten, die der Imam während des Gottesdienstes vorgibt, folgen. Zum Beispiel, wenn er sich verbeugt, sollen die Betenden sich ebenfalls verbeugen. Wenn er Gott dankt, sollen sich die Gläubigen ebenfalls bei Gott bedanken. Übrigens ernennt der türkische Staat eigene Imame. Damit soll der Einfluss der orthodoxen Imame und derer, die islamistisch radikale Ideen verbreiten, gestoppt werden.
Etwa 1.250 hauptamtliche und rund tausend ehrenamtliche Imame gibt es in Deutschland. Nach Schätzungen des Zentralrats der Muslime sind davon über 90 Prozent aus der Türkei, kommen vereinzelt auch aus Marokko, dem Iran und anderen Ländern. In den Gemeinden der DITIB, dem Dachverband der türkischen Muslime in Deutschland, wirken ausnahmslos Türkisch sprechende Imame, sogenannte Religionsbeauftragte. Ausgewählt werden sie in ihrem Heimatland von der „Gemeinsamen Kulturmission“, in der Vertreter verschiedener Ministerien sitzen. Diese Imame werden in der Türkei an staatlich anerkannten islamisch-theologischen Instituten ausgebildet und schließen dort mit einem Diplom ab. Wenn sie ins Ausland entsandt werden, unterstehen sie – als Quasi-Diplomaten – den Attachés für religiöse Dienste der türkischen Generalkonsulate. Über die Kultur und das Grundwerteverständnis in ihrem Einsatzgebiet wissen sie jedoch oft nur wenig. Ihr hauptsächlicher Auftrag ist es, in Deutschland den „türkischen Staatsislam“ absichern zu helfen.
Gegenwärtig gibt es eine Kontroverse unter Muslimen, ob und unter welchen Umständen Frauen Tätigkeiten als Imam ausführen dürfen. Besonders in der Türkei und in Marokko soll es bereits eine Anzahl weiblicher Imame geben. Auch in mehreren westlichen Staaten Europas und Amerikas übernehmen zunehmend Frauen die Aufgaben eines Imam. So leitete in New York City eine Frau das Freitagsgebet. Drei von vier sunnitischen Rechtsschulen, aber auch viele schiitische Rechtsschulen sind der Auffassung, dass Frauen Frauengruppen im Gebet leiten dürfen, allein die Rechtsschule der Malikiten erlaubt dies bisher nicht.

Im Jahr 1979 kam Ayatollah (w. Zeichen Gottes) Khomeini im Iran an die Macht. Nach dem Schah-Regime übernahm er neben der politischen Führung auch das Amt der obersten schiitischen Lehrautorität.

Ein Mufti erteilt ein offizielles islamisches Rechtsgutachten (eine Fatwa). Der Mufti gibt islamrechtliche Gutachten über Rechtsfragen nach Maßstäben der Rechtswissenschaft ab und begründet diese gemäß der von ihm befolgten Rechtsschule. Die Fragen, die an einen Mufti gestellt werden, behandeln im Wesentlichen praktische Alltagsfragen. Im Osmanischen Reich setzte die Regierung für jede Provinz einen Mufti ein. Die Institution des Großmuftis an der Spitze der Hierarchie von Ratgebern spielte hier eine wichtige Rolle. Mit dem Titel Scheich al-Islam (Oberhaupt des Islam) stellte der Mufti bis 1924 die höchste religiös-rechtliche Autorität im Reich dar. In einigen modernen Staaten, deren Staatsreligion der Islam ist, die aber weitgehend säkularisiert sind, besteht das Mufti-Amt weiterhin.

Der Scheich (w. Ältester, Greis) ist ursprünglich das Stammesoberhaupt bei den arabischen Beduinen. Der Begriff wird heute häufig als Titel für führende Persönlichkeiten des geistlichen oder geistigen Lebens im arabischen Kulturraum eingesetzt, sowohl von Muslimen als auch von Angehörigen anderer Religionen.

Bei Mystikern gibt es die Titel Pir (alter Mann), Ustad (Meister), Aref (Mystiker). Aleviten schauen auf zu ihremDede (w. Großvater).

Die in der muslimischen Welt verwendeten Titel können in einer kurzen Darstellung nicht alle genannt oder umfassend beschrieben werden. Deutlich erkennbar ist, dass dem Urbild Muhammad nachgeeifert wird, der politische wie auch geistliche Herrschaft ausgeübt hat. Es ist für viele Muslime schmerzlich, dass durch die unterschiedlichsten Gruppen im Islam die einstige Einheit gespalten und zum Teil verloren gegangen ist.

 

Orientdienst, 14. Juli 2009

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